Wichtige Veränderungen brauchen Zeit

Das reformierte Kirchgemeindehaus in Höngg ist das erste der neuen Refomierten Kirche Zürich, das mit einer neuen Signaletik ausgestattet wurde. Doch es gibt noch weitere Neuigkeiten von der Ackersteinstrasse 190.

Das Graffiti bringt Farbe in den Aussenraum des reformierten Kirchgemeindehauses Höngg.
Hatte die Idee für den Naturgarten: Béatrice Anderegg, Sozialdiakonin des Kirchenkreis zehn
Die Reformierte Kirche Zürich und die lokalen Kirchhäuser seien miteinander verwoben, findet Pfarrer Martin Günthardt.
Durch die neue, helle Wandgestaltung wird der Gang deutlich aufgewertet.
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Es ist ein perfekter Spätsommerabend im September, die Vertreter*innen der Reformierten Kirche Höngg haben zu einem Apéro geladen. In einem kleinen Patio hinter dem Eingang des Kirchgemeindehauses begrüsst Betriebsleiter Christoph Meier-Krebs die Gäste mit Blick auf ein frisches Graffiti, welches von Jugendlichen mit Unterstützung einer professionellen Künstlerin kreiert wurde. Dies ist die erste von vier Neuigkeiten, die die Besucher*innen heute erwartet. Meier-Krebs zeigt sich begeistert von der Leidenschaft, mit der sich die jungen Sprayer an einem verregneten Nachmittag an die Arbeit machten. So gelangte ein farbenfrohes Stück Kirche in den Garten. Béatrice Anderegg, Sozialdiakonin im Kirchenkreis zehn und seit eineinhalb Jahren Teil des Teams, machte sich ähnliche Gedanken: Wie kann die Kirche im Aussenraum sichtbar werden, in einer Zeit, in der Begegnungen zunehmend draussen stattfinden? Angesichts des brachliegenden Grundstücks um das Kirchgemeindehaus, kam ihr die Idee eines gemeinschaftlichen Generationen-Naturgartens. Überzeugungsarbeiten brauchte es bei Daniel Morf vom Hausdienst und Betriebsleiter Meier-Krebs keine: Schnell war eine Treppe errichtet, die auf eine höhere Ebene führte, ein Zaun zum Schutz aufgezogen und eine kleine Gartenlaube mit Tisch und Sonnenschirm bereitgestellt. Es fanden sich fünf erwachsene Personen, die sich während des Lockdowns an den Aufbau des Gartens machten. Obwohl der Humus erst in einer dünnen Schicht vorhanden ist, wächst schon ganz gut, was bisher gesät wurde. Eine passende Analogie, findet Meier-Krebs: Es ist schön, am Ende eines strengen Tages die Früchte seiner Arbeit zu ernten. Fertig ist diese aber noch lange nicht, ein Naturgarten braucht seine Zeit.

Spannungsfeld zwischen Tradition und Erneuerung

Zeit braucht auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Auftritt, den die vor zwei Jahren neu gebildete Reformierte Kirche Zürich mit ihren zehn Kirchkreisen anstrebt. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte Meier-Krebs, der früher im Qualitätsmanagement zu Hause war, das Thema der Signaletik angestossen. Die Kirchgemeinde Zürich entschied daraufhin, eine einheitliche Schreibweise zu entwickeln und im Kirchkreis zehn ein Pilotprojekt durchzuführen. Aufgrund der Coronasituation wurde dieses Projekt auf ein Haus reduziert: das Kirchgemeindehaus an der Ackersteinstrasse 190. Auf der Stele vor dem Eingang steht deshalb neu «Reformierte Kirche Zürich» und klein darunter Kirchgemeindehaus Ackersteinstrasse. Zur Sicherheit steht in einem Kasten gleich nebenan auch noch «Kirchenkreis zehn» in blauer Farbe. Diese Bezeichnung fand die grösste Zustimmung unter allen Beteiligten. Da sich die Zahl der Kirchgemeindemitglieder jedoch verändert, ist der Name nur ein temporäres Konstrukt. Der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Doch nach fast zwei Jahren, in denen sich die Reformierte Kirche Zürich neu aufgestellt hat, ist die Vereinheitlichung des Auftritts gegen aussen ein wichtiger und nötiger Schritt.

Geschichte lässt sich nicht übermalen

Dass es während dieser Weiterentwicklung durchaus Diskussionspotenzial gibt, lässt auch Jugendpfarrer Martin Günthardt in seiner kurzen Ansprache durchblicken. Zwischen Tradition und Erneuerung liegt ein weites Spannungsfeld. Die Ansichten können und sollen auseinandergehen, diese Auseinandersetzung ist etwas Gutes, Nahrhaftes. So hatte es in der Reformierten Kirche Tradition, Altes zu übermalen, wie die Heiligenbilder in den Kirchen während der Reformation. Doch Geschichte und Identität lassen sich nicht einfach übertünchen, irgendwann kommen sie wieder zum Vorschein. Deshalb könne auch die «Kirche Höngg» nicht einfach im Zuge der neuen Signaletik verschwinden, denn die Reformierte Kirche Zürich und die lokalen Kirchhäuser seien miteinander verwoben. An diesem informellen Apéro wird spürbar, wie viel Reibungspotenzial in einem Namensfindungsprozess steckt, wie anstrengend es sein kann, sich auf eine Identität zu einigen. Doch es dringt durch, dass man gemeinsam einen Weg durch diesen Prozess finden will.

Alter Boden kommt ans Licht

Schliesslich führen die Gastgeber *innen in den Gang, der zu den Büroräumlichkeiten des Kirchenkreis zehn und zur Pestalozzibibliothek führt. An der Wand leuchten die Silhouetten tanzender Menschen, am Ende des Ganges weisen zwei rote Pfeile den Weg zur ebenfalls knallroten Türe der Pestalozzi Bibliothek. Der Boden ist derselbe geblieben, er ist 200 bis 400 Jahre alt. Früher machte er sich vor allem durch den Lärm, den der Bibliothekswagen verursachte, wenn er darüber gerollt wurde, bemerkbar. Jetzt, da es heller ist im Gang, kommen die Steinplatten in ihrer alten Schönheit zur Geltung. Und so stört der Lärm plötzlich viel weniger, meint Meier-Krebs. Auch diese Neugestaltung ging nicht ohne Diskussionen über die Bühne. Doch kritische Stimmen waren und sind wichtig, davon scheinen alle überzeugt zu sein. Am Ende sollen alle hinter dem Resultat stehen können. Und wie beim Naturgarten spielt auch hier Zeit eine wichtige Rolle: Alle Veränderungen benötigen Zeit, damit man sich an sie gewöhnen kann.

 

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