Was zum Kuckuck ist eigentlich Jugendförderung?

Immer wieder stellt sich die Frage, lohnt es sich in die Jugendförderung zu investieren? Der Geschäftsführer des Dachverbands der offenen Kinder- und Jugendarbeit Schweiz (DOJ), Marcus Casutt, hat dazu eine klare Haltung: Ja, selbstverständlich. Im Interview mit dem «Höngger» erklärt er weshalb.

Marcus Casutt ist seit Ende 2015 der Geschäftsführer der DOJ

Wer macht eigentlich Offene Jugendarbeit?

Marcus Casutt: Fachpersonen, die in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig sind, haben in der Regel eine anerkannte Ausbildung in sozialer Arbeit, einen Abschluss in verwandten Berufsgruppen oder langjährige Praxiserfahrung. Soziale Arbeit kann hierbei als Dach über den Arbeitsfeldern der Sozialarbeit, der Soziokultur und der Sozialpädagogik verstanden werden. Während dem sich Sozialarbeitende vordergründig mit der Inklusion von armutsbetroffenen und somit mit der Veränderung von individuellen und äusseren Lebensbedingungen befassen, kümmert sich Soziokulturelle Animation um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und arbeitet mit der Quartierbevölkerung an einem friedlichen Zusammenleben. Sozialpädagogik befasst sich vordergründig mit der Sozialisation und unterstützt Adressatinnen und Adressaten in ihrem Sozialisationsprozess.

Was ist das Ziel von Jugendförderung und Offener Jugendarbeit?

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit versteht sich als wichtige Akteurin der ausserschulischen Bildung. Sie begleitet und fördert Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auf dem Weg zur Selbstständigkeit. Dabei setzt sie sich dafür ein, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Gemeinwesen sozial, kulturell und politisch integriert sind, sich wohl fühlen und sich zu Personen entwickeln können, die Verantwortung für sich selber und für die Gemeinschaft übernehmen und an den Prozessen der Gesellschaft mitwirken. Deshalb kann die Jugendarbeit auch als Jugendförderung verstanden werden. Offene Kinder- und Jugendarbeit versteht sich als Teil kommunaler Kinder- und Jugendförderung, welche in Gemeinden und Städten als Drehscheibe verschiedener Akteurinnen und Akteure der Kinder- und Jugendförderung fungiert und die Schnittstelle zur Politik und zur Verwaltung bildet. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit grenzt sich von der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit und der schulischen (Aus-)Bildung dadurch ab, dass ihre Angebote ohne Mitgliedschaft oder andere Vorbedingungen von Kindern und Jugendlichen völlig freiwillig genutzt werden können.

Wo wird Offene Jugendarbeit gemacht?

Offene Kinder- und Jugendarbeit findet in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene in den Quartieren, den Gemeinden und Städten statt. Simpel formuliert: Dort wo sich Jugendliche bewegen. Offene Kinder- und Jugendarbeit findet im stationären Rahmen in Räumlichkeiten der Jugendarbeit (Jugendtreffs, Jugendhäuser) oder von Dritten (Turnhallen, Mehrzweckräume und anderes) sowie im Öffentlichen Raum (mobile und aufsuchende Angebote) statt.

Wie werden diese Ziele methodisch erreicht?

Offene Kinder- und Jugendarbeit zeichnet sich durch die drei Grundprinzipien Offenheit, Freiwilligkeit und Partizipation (also Mitwirkung/Mitsprache und Mitbestimmung) aus. Ohne diese Prinzipien verliert sie wesentlich an ihrer fachlichen Grundsubstanz und damit auch an ihrer angestrebten Wirkung. Offene Kinder- und Jugendarbeit ist konfessionell und politisch neutral und hält sich offen für soziokulturelle Veränderungen, für die verschiedenen Lebenslagen, Lebensstile und Lebensbedingungen von jungen Menschen. Offenheit bedeutet Vielfalt in Bezug auf spezifische Angebotsformen, Arbeitsmethoden und Zielgruppen. Offenheit bedeutet auch flexible und unbürokratische Bereitstellung und Gestaltung von Freiräumen. Das Prinzip der Partizipation beschreibt eine grundlegende Arbeits- und Umgangsform mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es zielt auf Beteiligung, Mitwirkung und Mitbestimmung. Die Bedingungen, unter denen Offene Kinder- und Jugendarbeit konkret stattfindet, müssen in jeder Einrichtung im Aushandlungsprozess mit allen Beteiligten eigens entwickelt und bedürfnisgerecht umgesetzt werden. Aufgrund der Freiwilligkeit der Teilnahme und der sich wandelnden Gruppenkonstellationen muss immer wieder aufs Neue geklärt werden, was Thema ist, welche Ziele und Inhalte daraus hervorgehen und wie diese methodisch zu realisieren sind. Alle Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind freiwillige Angebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Das Prinzip der Freiwilligkeit unterstützt die Selbstbestimmung junger Menschen wesentlich und ist eine Grundbedingung für echte Partizipation. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit versteht sich als begleitende Partnerin und als wichtige Ergänzung zum formellen Bildungsbereich.

Weshalb Jugendarbeit/Jugendförderung?

Die Gemeinde ist die zentrale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Auf kommunaler Ebene beschäftigen sich ausserhalb der Familie und Schule verschiedenste Akteurinnen und Akteure mit der Förderung von Kindern und Jugendlichen: Unter anderem die Offene Kinder- und Jugendarbeit, die Jugendverbandsarbeit oder Vereine im Freizeitbereich. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit bietet durch ihre Vielfalt an Angeboten, ihrer Niederschwelligkeit und ihrer Flexibilität auf veränderte Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen sowie auf Veränderungen in der Gesellschaft zu reagieren für alle Kinder und Jugendlichen eines Quartiers, einer Gemeinde oder Stadt etwas. Der ressourcenorientierte Ansatz und das partizipative Arbeiten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit stärken einerseits Kinder und Jugendliche, andererseits leisten sie einen Beitrag zur Entwicklung des Gemeinwesens. Dies geschieht, in dem die Offene Kinder- und Jugendarbeit sich dafür einsetzt, dass Kinder und Jugendliche bei Themen die sie betreffen einbezogen werden, dadurch wird das Potential der Kinder und Jugendlichen abgerufen und für das Quartier und die Gemeinde nutzbar macht. Im Idealfall agiert die Offene Kinder- und Jugendarbeit als Drehscheibe zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren der Kinder- und Jugendförderung und bildet die Schnittstelle zur Politik und zur Verwaltung.

Welche Herausforderungen, Risiken und Gefahren gibt es in der Arbeit?

Eine Herausforderung und zugleich eine Stärke der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ist sicherlich, dass sie flexibel sein muss bezüglich der Interessen und Ideen von Kindern und Jugendlichen, aber auch der gesellschaftlichen Veränderungen. Sie muss ihr Angebot und die Dienstleistungen immer wieder rasch und unkompliziert auf neue Themen, die bei Kinder und Jugendlichen oder gesellschaftlich aktuell sind, ausrichten.
Herzlichen Dank für das Gespräch!

Interview: Mandy Abou Shoak

Marcus Casutt, 42, ist seit Ende 2015 der Geschäftsführer der DOJ. Nach dem er im Jahr 2001 sein Bachelor in Sozialer Arbeit abgeschlossen hatte, führte es ihn in die Offene Kinder- und Jugendarbeit nach Mossedorf. Dort sammelte er seine ersten Erfahrungen in Offene Kinder und Jugendarbeit im Jugendsekretariat. Seinen Hunger nach mehr Wissen stillte er, in dem er einige Jahre später einen Master in Advanced Studies in Gemeinde-, Stadt und Regionalentwicklung absolvierte. Als Fachstellenleiter und Mitglied der Geschäftsleitung von Infoklick.ch koordinierte er als Projektleiter grosse, nationale Kinder und Jugendprojekte. Bis er im Jahr 2014 zur UNICEF stiess und den Aufbau der Fachstelle «Kinderfreundliche Lebensräume» mitverantwortete. In der Zwischenzeit absolvierte Marcus Casutt noch einen CAS Betriebswirtschaft in Nonprofit-Organisation an der ZHAW und eine CAS in Rhetorik und Moderation an der MAZ.