Von Brasilien nach Höngg – dank dem «Höngger»

Am 12. September veröffentlichte der «Höngger» einen Aufruf, dass der brasilianische Teenager Carlos eine Gastfamilie suche, um sein Auslandjahr durchführen zu können. Mit Erfolg: Seit einem knappen Monat lebt der 17-Jährige nun in Höngg bei Familie Oberholzer.

Die Höngger Gastfamilie Oberholzer: Sohn Caio, Austauschschüler Carlos, Tochter Ana Clara und Mutter Vieira Oberholzer haben es gut miteinander. Vater Dominik fehlt auf dem Bild, da er am Arbeiten war (von links).

Der Höngger Dominik Oberholzer sah den Aufruf, erzählte seiner brasilianischen Frau Vieira davon, und kurz darauf füllten die beiden das Bewerbungsdossier für Gastfamilien der Organisation AFS aus. «Wir mussten sehr viele Details ausfüllen, das finde ich aber verständlich, schliesslich möchten die Jugendlichen und auch ihre Eltern wissen, in was für eine Familie sie kommen», so Vieira Oberholzer. Die Austauschschüler kommen aus allen sozialen Schichten und aus der ganzen Welt.

Schon immer einen grossen Bruder gewünscht

Die Oberholzers haben eigene Kinder, Tochter Ana Clara ist sechs Jahre alt, Sohn Caio bald zehn. «Da in unserer Familie brasilianisches Flair Alltag ist, dachten wir, Carlos könnte gut zu uns passen und wir zu ihm», erklärt Vieira Oberholzer die Beweggründe für das Gastfamilien-Engagement. Ihr Sohn Caio ergänzt mit freudig glänzenden Augen: «Mein grosser Traum war es schon immer, einen grossen Bruder zu haben – nun habe ich ihn!» Er stellt Carlos denn auch ganz selbstverständlich allen als seinen Bruder vor, und so tut es auch Tochter Ana Clara. Die Kinder mögen den sympathischen Teenager, und auch dieser fühlt sich wohl mit ihnen: «Ich habe eine ebenfalls sechsjährige Schwester namens Ana Julia sowie einige Cousins in Brasilien. Das Spielen mit ihnen gehört ganz einfach dazu.» Dass Carlos bei den Oberholzers ebenso «ganz einfach dazugehört», sieht man: Die Familienmitglieder fühlen sich wohl, lachen und sind ganz sich selbst.

Für ein Jahr in der Schweiz

Carlos ist seit zwei Monaten in der Schweiz, der Hauptgrund ist das Lernen der deutschen Sprache. «Ich besuche das Gymnasium Rämibühl und daneben täglich einen Deutschkurs », erzählt er, der für ein Jahr in Höngg bleiben wird. Er spricht schon etwas Deutsch, wenn er eine Frage nicht versteht, übersetzt ihm seine Gastmutter diese, schreibt ihm aber gleichzeitig Schlagwörter auf, damit er sich diese besser merken kann. Die Schule sei «nur ein bisschen schwierig», so Carlos weiter, er möge Herausforderungen, deshalb wolle er Deutsch und vielleicht eine weitere Fremdsprache lernen. Vieira Oberholzer ist Englischlehrerin, was sich beim geduldigen Umgang mit Carlos von Vorteil erweist: Sie weiss, wie man Anfängern eine neue Sprache beibringt. «Als ich in die Schweiz kam, konnte ich auch kein Deutsch, ich weiss also genau, wie Carlos sich fühlt. Wenn man nichts sagen kann, weil man die Fremdsprache weder versteht noch spricht, so wird man für scheu, naiv oder schlicht dumm gehalten – und Carlos ist dies ganz und gar nicht. Er ist ein intelligenter, guter Junge, der hier eine ganz andere Welt kennen lernen kann.»

Auch die eigenen Kinder profitieren

Nicht nur Carlos profitiert, auch die eigenen Kinder der Oberholzers lernen: «Vor einem Monat ging ich nie alleine in die Migros einkaufen. Heute gehen Carlos und ich zusammen einkaufen», so der aufgeweckte Caio. Er spielt seit den Sommerferien beim SV Höngg Fussball, und Carlos wird dies in den nächsten Wochen ebenfalls tun. «Ich möchte hier selbständiger werden, Leute kennenlernen und Freundschaften schliessen», so Carlos. Sein Gastmami, welche noch keine Erfahrung mit Teenagern hat, macht sich bereits Gedanken darüber: «Für mich wird das ein ganz neuer Prozess sein. Wir müssen zum Beispiel darüber diskutieren, bis wann er wegbleiben darf, und was er mit seinen Kollegen macht.» Angst davor hat sie nicht, denn die Schweiz sei ein sicheres Land, und sie wolle Carlos seine neue Freiheit erleben lassen – zudem sei es gleich ein Training für sie, wenn die eigenen Kinder in ein paar Jahren dann im Teenageralter seien. In Brasilien lebt Carlos in einer Grossstadt namens Cuiaba, das ist westlich von Brasilia, der Hauptstadt. Die Temperatur beträgt durchschnittlich etwa 40 Grad. Sein Elternhaus wird von einem Sicherheitsangestellten bewacht, was bei reicheren Leuten üblich ist. Zur Schule fuhr er mit dem Schulbus oder mit seiner Mutter im Auto. «Kinder und Jugendliche aus gutem Hause sind nie allein unterwegs, deshalb ist das Leben mit Zug, Tram und Bus hier ganz neu für Carlos», so seine Gastmutter. Kein Wunder, fährt der junge Brasilianer gerne mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, sind sie für ihn doch auch eine Art Freiheit.

Nichts Negatives in der Schweiz

Was gefällt ihm bis jetzt hier in der Schweiz, in Höngg? «Mir gefällt die Landschaft, das kühle Wetter, die Leute sind sehr nett, in meiner Klasse geben sich alle Mühe, mit mir ganz langsam Deutsch zu sprechen, helfen mir in Mathematik . . . Kurz gesagt, es gefällt mir alles.» Auch nach langem Nachdenken gibt es nichts, was den Teenager zu einem Stirnrunzeln verleiten könnte. Ob sich dies in den nächsten Monaten ändern wird, erfahren die Leserinnen und Leser sicher, denn Carlos wird nach ein paar Monaten im «Höngger» erzählen, was er in der Zwischenzeit erlebt hat.

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