Vom Verkehr endgültig aus Höngg vertrieben

Seit ihrer Kindheit lebt Paula Stuis am selben Ort: Am Wasser, und zwar immer im genau gleichen Haus. Doch jetzt hat sie genug: «Ich wandere aus. Zwar nur innerhalb der Schweiz, doch für mich ist es ein Auswandern, da ich in die Berge ziehe – etwas ganz Anderes als die Stadt.»

Paula Stuis sagt dem Verkehr Am Wasser «Auf Nimmerwiedersehen».

Die aufgestellte 65-Jährige hat genug von den Nachteilen des Stadtlebens. Verkehr, Lärm und Dreck sind die Gründe für ihren Wegzug. «Früher war es schon schöner hier, hinter unserem Haus gab es zum Beispiel nur Äcker, als ich ein Kind war. Dann entstanden immer mehr Häuser. Aber das Schlimmste ist der Verkehr, er hat in einem riesigen Ausmass zugenommen.» Der Platz für die Fussgänger hingegen blieb immer gleich. Das schmale, bloss aufgemalte Trottoir einige Meter vor ihrem Haus Am Wasser war schon früher ein gefährlicher Abschnitt: «Frölein Würmli, unsere Kindergartenlehrerin, gab uns jeweils die mahnenden Worte ‹Tüend dänn schön hinterenand laufe› mit auf den Heimweg», erinnert sich Paula Stuis.

Von Stadt und Kanton nicht ernst genommen

Zuerst wohnte die Familie im ersten Stock des Hauses Am Wasser, dann wurde immer ein Stock höher gezügelt, wenn ein Mieter das Haus verliess. Bis vor wenigen Wochen lebte Paula Stuis im obersten Stock. Seit zwei Jahren rang sie mit sich, ob sie wegziehen sollte, in die ruhige Abgeschiedenheit der Berge in der Nähe von Savognin – und jetzt ist es so weit. «Es ist wirklich eine Flucht vor dem Verkehr. Höngg wurde von der Lebensqualität her gesehen abgewertet. Die Stadt Zürich hat kein Gehör für die Bewohnerinnen und Bewohner hier.» Sie spricht aus Erfahrung, hat sie doch unzählige Briefe an städtische und kantonale Stellen geschickt, um auf die Situation Am Wasser aufmerksam zu machen und sie für die Bewohner zu verbessern. «Doch ich wurde von Stadt zu Kanton und umgekehrt geschoben und erhielt nur Standardschreiben als Antwort – man wird schlicht nicht ernst genommen», so die Hönggerin enttäuscht. Täglich erlebte sie unzählige Autos, die die Strasse als Schleichweg nutzen, Autofahrer, die sich nicht an die erlaubten 30-Stunden-Kilometer halten oder Kinder, die ängstlich darauf warten, die Strasse überqueren zu können.

Wieder mal bei offenem Fenster schlafen können

Neue Anwohner der Strasse Am Wasser würden die Situation von früher nicht kennen, aber sie kenne die Entwicklung der Gegend und habe die Veränderungen hautnah miterlebt. «Es gibt Leute, die nehmen den Verkehr und den Lärm schlicht nicht wahr, ich kann ihn aber nicht ‹ausfiltern›, für mich ist er immer hör- und spürbar – teilweise wird sogar das Trottoir erschüttert, und das Haus hat Risse bekommen.» Paula Stuis wünscht sich, dass Am Wasser wieder eine Quartierstrasse wie früher wird – wo gelebt und gespielt wird. «Es gibt Leute, die mich fragen, ob ich Zürich als Ausgangsmeile nicht vermissen werde. Da muss ich ganz klar sagen: Nein. Ich freue mich darauf, endlich wieder bei offenem Fenster schlafen zu können und einfach Ruhe zu haben – ganz zu schweigen von frischer Luft. Wenn es mich temporär in die Stadt ziehen sollte, so habe ich bei meiner Zwillingsschwester noch immer ein Zimmer.» Dieses wird sie sicherlich wenig nutzen, zu verlockend sind die Berge. Auf dem Programm stehen Velofahrten, Wanderungen und Bergtouren, im Winter Skifahren. «Damit ich dann nicht der Pistenschreck bin, werde ich Skifahren, wenn es Platz hat – schliesslich ist das Skigebiet sozusagen neben meinem Ferienhaus, in welchem ich wohne», sagt sie mit einem Lächeln. Das Haus Am Wasser, welches ihre Eltern im Laufe der Jahre kauften und ihr dann vererbten, hat sie kürzlich verkauft – Grund dafür war die Lage: «Wäre es an einer ruhigen Ecke, so wäre ein Verkauf nicht zur Diskussion gestanden.» In Zukunft wird Paula Stuis’ Alltag anders aussehen. Sie freut sich darauf, einfach einmal vor ihr Häuschen sitzen zu können und einfach zu «sein». «Ich habe über 40 Jahre lang gearbeitet – und jetzt ist es so weit, ich möchte meinen Lebensabend geniessen.»

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