Tatort Höngg – ein Bericht zur Jugendgewalt

Dem «Höngger» wurden innert kurzer Zeit verschiedene Gewaltdelikte geschildert, begangen von Jugendlichen an Gleichaltrigen. Wie steht es mit der Jugendgewalt in Höngg? Hat sie zugenommen? Wie soll man sich verhalten? Rolf Stucker, Chef Jugenddienst bei der Stadtpolizei Zürich und in Höngg wohnhaft, gab Auskunft.

Sind in Höngg abends dunkle Wege zu meiden?

C. B.* wird gegen 19 Uhr mitten in Höngg von zwei ihm bekannten Gleichaltrigen bedroht und um Geld angegangen. Er kann sich dem Raubversuch nur durch Flucht in einen nahen Hauseingang entziehen. M. K.* berichtet gleich von zwei Überfällen auf ihn, beide geschahen ebenfalls am frühen Abend in Höngg: Beim ersten wollte man ihm Wertsachen abnehmen, als er verneinte, wurde er ohne weitere Vorwarnung geschlagen. Reflexartig wehrte er sich mit einem Schlag, worauf der eine Angreifer zu Boden ging und der zweite flüchtete. Als er sich um den Verletzten kümmern wollte, raffte sich dieser auf und ergriff ebenfalls die Flucht. Beim zweiten Überfall wurde M. K. ohne Vorwarnung von zwei anderen 16- bis 18-Jährigen brutal zusammengeschlagen und konnte nur mit Glück flüchten. Beide Tätergruppen waren dem Jungen nicht bekannt und so sieht er den zweiten Überfall als möglichen Racheakt für den ersten, gescheiterten Versuch. Auf die Frage, ob er nun Angst habe auf dem Heimweg, antwortet er: «Nein, Angst nicht, aber ich finde es tragisch, dass ich mich nun diesen Leuten anpassen muss und gewisse Wege meide. Meinen Heimweg lege ich nun möglichst weit mit Tram oder Bus zurück.» Doch auch dort wurde M. K. bereits verbal und handgreiflich attackiert und niemand der zahlreich anwesenden Erwachsenen hatte sich für ihn eingesetzt: «Keine Sau, verzeihen Sie den Ausdruck, griff ein», sagt er. Alleine dieser junge Mann weiss in seinem nahen Umfeld von drei weiteren Kollegen, die in Höngg überfallen wurden. «Ja», sagt er, «ich habe das Gefühl, die Jugendkriminalität hat in Höngg zugenommen.»

«Hot-Spots» sind bekannt

Rolf Stucker, Chef Jugenddienst bei der Stadtpolizei Zürich, sagt, Gewalttaten seien aber in Höngg nicht signifikant häufiger als in der übrigen Stadt und Racheakte ganz selten. Der Polizei seien neuralgische Punkte im Zentrum von Höngg sowie im Rütihof bekannt und sie markiert an diesen Punkten regelmässig Präsenz. Erfahrungsgemäss steigen speziell in den Sommermonaten die Zahlen der verübten Taten an – die Jungen sind länger draussen, es kommt vermehrt zu Pöbeleien und Straftaten.

Dunkelziffer ist problematisch

Im ersten und dritten der eingangs geschilderten Fälle haben die Opfer Strafanzeige erstattet. Im zweiten Fall wollte das Opfer von zuhause aus Anzeige erstatten, der Polizist sagte ihm aber, dies bringe nun nichts mehr, die Täter seien längst weg. «Diese Aussage des Polizisten ist falsch», sagt Rolf Stucker vehement, «ich verlange von allen Kolleginnen und Kollegen immer wieder: Nehmt Opfer, die Anzeige erstatten wollen, ernst! Erfolgen bei den Tätern auf Grund der fehlenden Anzeigen keine Reaktionen, meinen diese, ihr Verhalten sei legitim. Wir sind auf jede Anzeige angewiesen – wie sollen wir sonst ermitteln?“ Und Stucker schildert einen Fall, in dem ein verhafteter Jugendlicher über 40 Straftaten zugab – davon waren gerade mal zwei angezeigt worden. In einem anderen Fall wusste die Polizei von zahlreichen Erpressungen eines Jungen, doch niemand zeigte ihn an – bis der Täter das Kind eines Polizisten erpresste und dieser Anzeige erstattete: Innert 24 Stunden brach die Mauer des Schweigens und der Angst ein und alle anderen Anzeigen wurden erstattet. Rolf Stucker und mit ihm andere Fachleute schätzen die Dunkelziffer im Raubbereich sehr hoch ein. Dabei könnte jede Anzeige zum Erfolg führen, denn die Polizei hat mit ihren Partnern zusammen durchaus Szenenkenntnisse: Kommen Anzeigen mit Tätersignalementen rein, dann wissen die Fahnder oftmals, um wen es sich handeln könnte.

Richtiges Verhalten ist wichtig

Was aber rät die Polizei, wie man sich bei einem Überfall verhalten soll? «Bereits vorausschauend handeln», meint Stucker, «dunkle Gassen und Wege meiden, jedenfalls wenn man alleine unterwegs ist. Und im Zweifelsfalle die Strassenseite wechseln, wenn einem eine Gruppe entgegenkommt.“ Wird man trotzdem überfallen, so sei ein selbstsicheres Auftreten wichtig: «Lasst mich in Ruhe, lasst mich gehen», soll man deutlich machen – und dann laut um Hilfe rufen. Sobald aber mit Waffen gedroht werde, soll man kein Risiko eingehen, sondern sich darauf konzentrieren, das Signalement der Täter, am besten jenes des Anführers, zu erfassen: Wie sieht er aus? Wie alt ist er? Wie spricht er? Fallen gar Namen? Und später möglichst schnell die Polizei rufen, oft führt bereits eine Nahbereichsfahndung zum Erfolg.

Problem der Gesellschaft

Die geschilderten Taten sind nicht nur ein Jugendproblem, sondern auch ein gesellschaftliches. Es mangelt allenthalben an Zivilcourage. Obwohl im Jugendstrafrecht die Maxime «Nacherziehen statt bestrafen“ gilt, wie Rolf Stucker betont, sollten Sanktionen gerade unter dem Aspekt der Erziehung in einem gewissen Verhältnis zur Schwere der verübten Tat stehen und für den Bestraften spürbar sein. Was aber alle tun können, ist sich wehren: Als Erwachsene im Notfall nicht zuschauen, sondern gemeinsam eingreifen – und Opfer von Straftaten zu einer Anzeige ermuntern. Das Signal, das man mit einer Anzeige setzt, dass solche Übergriffe nicht toleriert werden, ist wichtig – nicht nur gesellschaftlich, sondern gerade auch unter den Jugendlichen selber.

* Initialen geändert, * Namen der Redaktion bekannt

Die Stadtpolizei rät, grundsätzlich immer Anzeige zu erstatten. Wichtig ist, dass dies so rasch als möglich erfolgt. Am besten gleich die Notrufnummer 117 wählen und den nächsten Polizeiposten aufsuchen. Die Polizei informiert auch über die Opferberatungsstellen. Informationen im Internet: www.opferhilfe.zh.ch