Armut im Alter

Den Lebensabend wollen wir alle gesund erleben und geniessen. Endlich die Zeit haben, Aufgeschobenes nachzuholen. Doch was ist, wenn die finanziellen Möglichkeiten trotz Rente nicht ausreichen? Eine wichtige Anlaufstelle ist die Stiftung Pro Senectute.

Armut im Alter: Besonders Frauen sind betroffen. (Foto: Symbolbild Freepik)

In diesem vierten Teil der Serie «Wertvolle Jahre» war ursprünglich das Porträt einer Person vorgesehen, die darüber berichtet, was es heisst, sich am Lebensabend wenig leisten zu können, trotz der Ergänzungsleistungen (siehe auch Zusatztext zu «Das Leben in einem Alters- und Pflegeheim»).

Das Porträt kam nicht zustande. Dennoch haben wir Stimmen eingefangen, um zu verstehen, wie es ist, im betagten Alter mit kleinem Budget zu leben: Da ist jene Person, die sich freut, wenn sie einen Gutschein erhält, um endlich wieder die lange vermisste Süssigkeit zu kaufen, eine andere ist froh, wenn sich die Kinder um die neue Garderobe kümmern. Eine weitere Person behält ihre Situation lieber für sich, weil sie nicht zum «Dorfgespräch» werden will.

Im Geschäftsbericht der Stadt Zürich aus dem Jahr 2022 sind konkrete Angaben des Amts für Zusatzleistungen nachzulesen. Dessen Hauptaufgabe besteht darin, einkommensschwachen AHV- und IV-Rentnerinnen eine angemessene materielle Existenz zu garantieren. Ausgerichtet werden im Bereich der Zusatzleistungen bundesrechtliche Ergänzungsleistungen, kantonale Beihilfen und Zuschüsse, jährliche Gemeindezuschüsse, ausserordentliche Gemeindezuschüsse sowie Einmalzulagen.

Sämtliche Leistungsarten sind an die Erfüllung bestimmter Anspruchsvoraussetzungen geknüpft. Laut dem Geschäftsbericht waren es in der Stadt Zürich Ende Dezember 2022 8298 AHV-Rentnerinnen, die noch in ihren Wohnungen leben und die Ergänzungsleistungen erhalten. Dazu kamen 2863 AHV-Rentnerinnen, die in Heimen leben. Deren durchschnittlich bezogenen Leistungen betrugen 1714 Franken für solche, die in ihren Wohnungen leben, 3834 Franken für solche in Heimen.

Ergänzungsleistungen sind keine Sozialhilfe

«Armut im Alter ist heute noch für manche Menschen ein Tabuthema», sagt Alexander Widmer. Er ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Pro Senectute Schweiz, der grössten Fach- und Dienstleistungsorganisation für das Alter in der Schweiz. Zudem ist Widmer deren Leiter Innovation und Politik. Die Stiftung setzt sich seit 1917 dafür ein, dass Menschen in der Schweiz bis ins höchste Alter als wertgeschätzte Mitglieder der Gesellschaft leben können, wie es auf der Website heisst.

«Im Jahr 2022 haben wir rund 59 000 kostenlose Beratungen durchgeführt, die meisten zu finanziellen Fragen», sagt Widmer. Laut Pro Senectute leben in der Schweiz bis zu 200 000 Seniorinnen unterhalb der Armutsgrenze, 100 000 nur knapp darüber. Konkret: Eine armutsbetroffene Einzelperson hat in der Schweiz gemäss Caritas Schweiz maximal 2289 Franken monatlich zur Verfügung.

Am stärksten betroffen seien Frauen, ausländische Staatsangehörige sowie Personen mit tiefer Bildung. Die Maximalrente für eine Einzelperson beträgt in der Schweiz 2450 Franken pro Monat, für Ehepaare 3675 Franken. «Den höchsten Betrag erhält, Stand 2023, wer durchschnittlich 88 200 Franken und mehr pro Jahr verdiente und keine Lücken hat», sagt Widmer.

Für viele sei es daher ein Schock, wenn sie erfahren, wie klein die Rente ausfalle, sagt Widmer. «Die Rente spiegelt die eigene Erwerbsbiografie wider, und wenn diese Leistung finanziell gering ausfällt, obschon man sein Leben lang gearbeitet hat, ist das eine schwierige Situation.»

Erwerbstätigkeiten mit einem tiefen Lohn führen zu diesen Situationen, aber auch Lohnausfälle oder Selbstständigkeit, was sich wiederum auch auf die Pensionskasse auswirkt. Wenn dann Ergänzungsleistungen zur Sprache kommen, tun sich viele schwer damit. Dabei ist es wichtig, dass solche Leistungen nichts mit der Sozialhilfe zu tun haben, so Widmer.

In den Beratungen komme es auch vor, dass sich Personen ihr monatliches Einkommen ab der Pensionierung bis zu einem gewissen Alter ausrechnen: das aus der Rente, der 2. Säule und dem Vermögen und eventuell der 3. Säule. «Sie rechnen beispielsweise bis zum 80. Lebensjahr, doch dann werden sie um Jahre älter und das Vermögen und der Kapitalbezug aus der 2. Säule sind aufgebraucht.»

Bei Pro Senectute können sich Pensionierte ausführlich über die Ergänzungsleistungen und über weitere finanzielle Unterstützungen, wie beispielsweise von Stiftungen und Kirchen, informieren und beraten lassen. «In jedem Fall ist es ratsam, nicht zu warten, sondern frühzeitig zu handeln», rät Widmer. Das bedeute aber auch, seine persönliche Situation offenzulegen, das sei eine weitere Hemmschwelle.

«Sollte man schliesslich Ergänzungsleistungen erhalten, bedeutet das jedoch kein Luxusleben, sie decken lediglich die grundlegenden Lebenserhaltungskosten.» Diese werden immer höher: Krankenkassen, Mieten und Nebenkosten steigen. Immerhin gibt es Prämienverbilligungen, zu beantragen bei der SVA, und die Möglichkeit einer Alterswohnung, doch dort übersteigt die Nachfrage das Angebot.

Vorbereitung auf die Pensionierung

Für Personen, die wissen wollen, welche finanziellen Möglichkeiten sie im Alter haben, stehen verschiedene Angebote bei Pro Senectute zur Verfügung. In Vorbereitungskursen auf die Pensionierung wird dargelegt, welche Überlegungen für einen Start in die Pension wichtig sind.

«Sollten Erwerbsausfälle bestehen, lohnt es sich, sich bei der Pensionskasse zu erkundigen, ob Nachzahlungen möglich sind, erklärt Widmer. Man spricht hier auch von einem «Einkauf». Ebenso können bei der AHV-Beitragslücken vorhanden sein. Bei der SVA Zürich kann man einen kostenlosen Kontoauszug bestellen, um dies zu prüfen. Bei der AHV sind Nachzahlungen aber nur bis fünf Jahre rückwirkend möglich.

Ein weiteres Angebot der Pro Senectute ist der Online-Rechner für die Ergänzungsleistungen. Mit diesem lässt sich der mögliche Anspruch ausrechnen. Der sogenannte EL-Rechner wird laufend aktualisiert und dient der ersten Einschätzung. Sollten ältere Menschen also Bedenken haben, dass ihre Rente nicht ausreicht, dann können sie sich bei einer der Anlaufstellen beraten lassen.

Mögliche Anlaufstellen

Pro Senectute Zürich
www.pszh.ch, Seefeldstrasse 94a, 8008 Zürich, 058 451 50 00

Stadt Zürich, Amt für Zusatzleistungen
www.stadt-zuerich.ch
Strassburgstrasse 9, 8004 Zürich, 044 412 61 11, für persönliche Vorsprachen bitte telefonisch anmelden

Fachstelle Zürich im Alter
www-stadt-zuerich.ch/zuerich-im-alter, Postfach 16, 8032 Zürich, 044 412 11 22, für alle Fragen rund um das Alter

Stiftung Alterswohnungen Stadt Zürich
www.wohnenab60.ch
Feldstrasse 110, 8036 Zürich,
044 415 73 33

Caritas Zürich
www.caritas-regio.ch
Beckenhofstrasse 16, 8006 Zürich, 044 366 68 68
Caritas Markt, Secondhand, Sozial- und Schuldenberatung

Im Fokus: Wertvolle Jahre

Der «Höngger» veröffentlicht in diesem Jahr verschiedene Artikel, die sich der Lebensrealität von Betagten und Menschen mit Behinderung widmen. Diese Reihe entsteht mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung, die sich für solche Menschen stark macht.

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