Liebreiz und Tragik in der Kirche

Unter der Leitung von Peter Aregger führte der reformierte Kirchenchor Höngg zusammen mit dem Orchester Aceras barock, dem Organisten Robert Schmid, Franziska Wigger, Sopran, Daniel Bentz, Tenor, und Christian Marthaler, Bass, am vergangenen Samstagabend in der reformierten Höngger Kirche das Kantatenwerk von Johann Mattheson «Der liebreiche und geduldige David» auf.

Der reformierte Kirchenchor Höngg singt. Im Vordergrund Mitglieder des Orchesters Aceras barock.

1998 wurde in der armenischen Stadt Eriwan der als kriegsverschollen geltende Nachlass des Hamburger Barockkomponisten Johann Mattheson (1681-1764, also einem Zeitgenossen Johann Sebastian Bachs), wiedergefunden. Ein Glücksfall für die Musikwelt, denn Mattheson war zu seiner Zeit sehr bekannt und hinterliess ein immenses Werk: Sechs Opern, 33 Oratorien und Orchesterwerke und Kammermusik und zudem zahllose musiktheoretische Schriften. Im Nachlass befand sich auch das aus dem Jahre 1723 stammende Oratorium «Der liebreiche und geduldige David», das ein rechtes Stück dramatischer und mitreissender Musik ist, welches Peter Aregger, einmal gehört, nicht einfach für sich und «seinen» reformierten Kirchenchor unversucht lassen konnte. Dass er dabei «Aceras barock», Franziska Wigger und Christian Marthaler für dieses anspruchsvolle Werk gewinnen konnte, überraschte die Höngger Konzertgänger natürlich auch nicht.

Nicht allein zu Gottes Ehren

Mattheson liebte die Oper und unterwarf auch die Oratorien, eigentlich kirchenmusikalische Werke, gerne dem Arienduktus. Seiner Ansicht nach sollte die Musik ihren eigenen Regeln folgen, in diesem Fall nicht allein zu Gottes Ehre (Soli Deo Gloria), sondern vielmehr, um den Menschen zu gefallen. Nun bietet diese alttestamentarische Geschichte aus dem Leben Davids jede Menge Stoff für ein Drama, wenig aber für einen galanten Stil, zumindest aus heutiger Sicht. Es geht da um Verrat und Abfall: Absalom, Davids Sohn, gelingt zunächst ein Aufstand gegen seinen Vater, der mit seinen Truppen zunächst fliehen muss, wird aber, nach einer Versöhnung, beim Gegenangriff der Israeliten, trotz Davids Fürsprache, ermordet.

Das Werk beginnt mit einem kurzen tänzerischen Vorspiel des Orchesters bei dem die dunklen Celli eine eigenartig abgeschattete Stimmung evozieren, in das der Chor brüsk einstimmt und bereits die kommende Dramatik vorwegnimmt. Was nun irgendwie theologisch oder zumindest historisch abläuft, erschliesst sich einem heutigen Zuhörer kaum, denn die Rezitativen und Duette mit den choristischen Einsprengseln folgen Schlag auf Schlag.

Schöner Klang, gewaltiger Klang, Wohlklang

Zudem ist die Sprache alles andere als zeitgemäss: «Jedoch, welch neues Klag Geschrey eilt zu den Flüchtigen herbey?», so dass auch das abgegebene Textheft nicht immer helfen kann. So ergibt man sich dem schönen Klang der Musizierenden, dem gewaltigen Klang der drei Solisten und dem Wohlklang des Chors. Franziska Wigger erklimmt stimmlich einsame Höhen, sie bewältigt «Meditationen», Arien und Rezitative, also aktive Rollen und passive Erläuterungen, in kurzen Abständen, und Daniel Bentz und Christian Marthaler werden immer wieder in Duette geführt, die beiden jeweils die gesamten Tonregister abverlangen. Das geht so bis zur kurzen Pause, bei der die Streicher ihre Celli und Geigen mit Natursaiten nachstimmen müssen. Der zweite Teil verändert sukzessive die Stimmlage. David (Christian Marthaler) wird immer präsenter, das führt zuerst zu wunderbar durchwobenen Duetten, zu einem Fest der Stimmen mit einer Sogwirkung von Wohlklang und wandelt sich dann immer mehr zu einer spürbaren Bedrängnis. Leider lässt Mattheson sein Werk aber nicht hier enden, er fügt dem ein Happyend an – vom Chor zwar mit der ganzen Weihe gesungen, die diesem «Choral der christlichen Gemeinde» gebührt – was zwar galant, unsereins aber theologisch ratlos lässt.

 

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