«Lang ist’s Hair» – doch jetzt kommt’s erst!

Das Musical «Hair» erlebte seine Uraufführung im April 1968 am Broadway, 1979 wurde es unter der Regie von Milos Forman verfilmt und weltberühmt. Nun erreicht es Höngg: an den nächsten zwei Wochenenden in der exklusiven Inszenierung des Vereins Musicalprojekt Zürich 10.

Eine der Schlüsselszenen, im Musical wie im Film: der ausgeflippte Tanz auf dem gedeckten Tisch.

Das Musical «Hair» entstand in den 1960er Jahren und erzählt die Geschichte einer Gruppe der Hippie- Bewegung in New York. Die mitreissenden Songs eroberten die Welt – wobei «eroberten» mit Blick auf den pazifistischen Inhalt des Musicals keine gute Wortwahl ist: Eine halbe Million US-Soldaten waren in Vietnam stationiert, die meisten nicht freiwillig. In Amerika formierte sich die Protestbewegung gegen den Krieg, zeitgleich mit dem Aufkommen der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Forderung nach Veränderungen der Gesellschaftsstrukturen und nach sexueller Befreiung. Im April 1967 demonstrierten in Washington 400 000 Menschen, im Oktober beteiligten sich 100 000 am «Marsch auf Washington», Martin Luther King hielt seine berühmte Rede vor dem Kapitol. Vor dieser Kulisse spielt Hair. «Lang ist’s Hair» sagten sich die Darsteller des Musicalprojekts Zürich 10 und beschlossen, wie immer nach einer Vorselektion durch die Verantwortlichen, das Stück neu auf die Bühne zu bringen, denn die Thematik ist nach wie vor aktuell. Sexuell hat sich unsere Gesellschaft zwar radikal bis zur Orientierungslosigkeit befreit, doch Freiheit, Freundschaft und Krieg bewegen die jungen Interpreten weiterhin, Anna Fierz, Sängerin, dazu: «Der rebellische Geist der Figuren im Musical steckt auch in der heutigen Jugend, die Kriegsthematik ist leider immer aktuell und geht uns alle etwas an.» Und Stephanie Müller, die im Stück Lynn Berger spielt, fügt an, dass diese zwar das Alphatier der Gruppe sei, ihr aber Freundschaft und Loyalität sehr wichtig seien – Dinge, die ihr selbst auch privat viel bedeuteten.

Spannungsfeldern ausgesetzt

Reto Hobi, bereits in der dritten Produktion dabei, sieht aber gerade zum Stichwort Loyalität in seiner Rolle als Hud einen Konflikt, denn Hud ist ein Mann mit Vergangenheit: Er hat bereits ein Kind, entwickelt sich aber erst im Verlauf der Handlung zum verantwortungsbewussten Vater. Auch Philipp Hillebrand, Neuling im Ensemble, sieht sich in seiner Rolle als Claude dem Spannungsfeld zwischen Freiheitsliebe und Pflicht ausgesetzt. Einberufen nach Viet-Hippiegruppe um Lynn Berger und macht mit ihnen seine ersten Drogenerfahrungen – der Junge aus dem konservativen Texas ist verliebt in eine junge Frau aus der High Society und wird plötzlich konfrontiert mit seinen eigenen Moralvorstellungen. «Ein Mann dient seinem Land – dafür entscheidet sich Claude», erzählt Philipp – ob es dann wirklich auch so kommt, erzählt «Hair».

Darsteller müssen verschiedenste Fähigkeiten entwickeln

Gregor Bucher, musikalischer Leiter und Leader der professionellen Begleitband, erzählt, wie zuerst das Stück gekürzt und dann die Rollen entsprechend den Fähigkeiten innerhalb des Ensembles verteilt wurden. «Musicaldarsteller müssen immer drei Fähigkeiten vereinen: Gesang, Tanz und Schauspiel, doch niemand ist überall gleich gut. Wir arbeiten hier mit jungen Menschen, die noch nie zuvor in einem Chor gesungen haben, während andere professionellen Gesangs- oder Schauspielunterricht hatten. Dieser Individualität gerecht zu werden war nicht immer einfach.» Bucher, bereits die dritte Saison dabei, setzte seine ganze Erfahrung als Absolvent der Musikhochschule Luzern und als Verantwortlicher für die Chorproben im Schweizerischen Jugendmusical ein, um dieses Ziel zu erreichen. Dass das Kunststück gelungen ist, zeigte der Besuch der Hauptprobe am letzten Wochenende: Die Motivation, mit der die Truppe bei der Sache ist, ist auch nach einem Dreivierteljahr intensiver Vorbereitung ungebrochen. Das Stimmvolumen überzeugt bereits ohne Mikrofon, die Tanzeinlagen illustrieren die Lebensfreude der Hippiebewegung treffend und im Schauspiel wird deren Lebensgefühl und ihr Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse eindrücklich dargestellt. Automatisch singt man Klassiker wie «Aquarius», «Manchester England», «Hair» oder «Let the Sunshine in» mit, während Mirjam Niederöst letzte Regieanweisungen gibt. Seit 2005 ist sie Leiterin für Choreographie und Regie beim Musicalprojekt Zürich 10. Das ganze Ensemble kommt in den Genuss ihrer vielfältigen Erfahrung als gelernte Tanzpädagogin mit eigenen Auftritten, unter anderem in Operetten am Opernhaus Zürich.

Wer steht hinter dem Verein Musicalprojekt Zürich 10?

«Die Idee für das Musicalprojekt entstand 1996», erzählt Walter Zweifel, Präsident des Vereins. «Wir fragten uns, was wir Jugendlichen ab 15 Jahren über die gewohnten Gefässe hinaus anbieten könnten.» Daraus gewachsen ist das Musicalprojekt Zürich 10, finanziell und materiell unterstützt von verschiedenen Kirchgemeinden und Sponsoren aus dem Kreis 10. Rund 20 Jugendliche sind jedes Jahr bei der Ausarbeitung eines neuen Projektes dabei und treffen sich mindestens einmal wöchentlich zur Probe. Neue Darstellerinnen und Darsteller sind jederzeit willkommen, denn die Fluktuation liegt, bedingt durch die Alterslimite von 20 Jahren, jährlich bei rund einem Drittel. «Mitmachen können alle», lacht Gregor Bucher, «keiner und keine von denen, die jetzt mitmachen, war schon immer so gut, fast alles ist lernbar!»

Weitere Informationen: www.musicalprojekt.ch