Jede Stimme zählt – oder auch nicht

Vom heute angewandten Wahlsystem profitieren die grossen Parteien, kleinen Parteien bleibt das Nachsehen. Mit der Einführung des «Doppelten Pukelsheim» zur Berechnung der Sitzverteilung wurde 2006 die eklatante Ungerechtigkeit deutlich abgemildert.

Kathy Steiner, Kantonsrätin, Grüne

Die eingebaute 5-Prozent-Hürde bewirkt aber nach wie vor, dass ein Teil der abgegebenen Wahlstimmen direkt in den Papierkorb wandern. Nach heutiger Zählweise müssen die Parteien bei den Gemeinderatswahlen in mindestens einem der neun städtischen Wahlkreise fünf Prozent aller Stimmen erlangen, um überhaupt einen Sitz im Parlament zugeteilt zu bekommen. Die Volksinitiative «Faires Wahlrecht für Züri – jede Stimme zählt!» ist ein erneuter Versuch, das Wahlsystem endlich so auszugestalten, dass auch tatsächlich jede einzelne Stimme für die Sitzverteilung im Gemeinderat berücksichtigt wird.

Gerechtigkeit herstellen

Das scharfe Quorum von 5 Prozent hat bei den letzten Gemeinderatswahlen dazu geführt, dass 78’059 Parteistimmen oder – noch eindrücklicher – 5,67 Prozent aller eingegangenen Stimmen ohne Relevanz blieben und ein beachtlicher Teil der Wählerschaft ganz umsonst an die Urne gegangen ist. Dieser Ausschluss von Stimmberechtigten ist mit dem Gedanken fairer Wahlen schlicht nicht vereinbar. Jede Partei muss Anrecht auf so viele Sitze im Gemeinderat haben, wie ihr gemäss ihrem Wähleranteil tatsächlich zustehen. Heute werden aber kleine Parteien auch dann vollständig von der Sitzverteilung ausgeschlossen, wenn sie genügend Wählerstimmen für bis zu sechs Sitze haben.

Einbindung aller Kräfte

Der Gemeinderat der Stadt Zürich übernimmt nach dem Delegationsprinzip die Funktion einer Gemeindeversammlung in einer kleineren Gemeinde. Er muss demnach auch die ganze Vielfalt der politischen Meinungen abbilden. Mit der Abschaffung der Wahlhürde könnten auch die Stimmen von Minderheiten sich das nötige Gehör verschaffen und im Gemeinderat den erwünschten Ideenwettbewerb verstärken. Erfolgreiche Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass auch Parteien ohne Fraktionsstärke mit guten Ideen und geschicktem Vorgehen immer wieder mit ihren Vorstössen und Anträgen die Mehrheit des Gemeinderats überzeugen konnten. Dass die grossen Parteien diese Volksinitiative bekämpfen, geschieht aus purem Eigeninteresse. Mit Demokratie und Fairness hat das herzlich wenig zu tun: Sie profitieren am meisten von der heute gültigen 5-Prozent-Hürde und wollen ihre Macht nicht aufteilen. Zürich braucht endlich ein faires Wahlrecht, damit tatsächlich jede Stimme zählt – deshalb Ja zur Initiative!

Kathy Steiner, Kantonsrätin Grüne

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