Höngger Jugendliche auf der Flucht

Am letzten Samstag erfuhren Jugendliche im Rahmen des Projekttags «Flucht und Asyl» der reformierten Kirche am eigenen Leib, was es heisst, ein Flüchtling zu sein.

Auf der Flucht müssen gefährliche Minenfelder durchquert werden.
Voller Angst werfen sich die Dorfbewohner auf den Boden.
Die ahnungslosen Dorfbewohner werden aus dem Hinterhalt angegriffen.
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Mehr oder weniger ausgeschlafen hatten sich die vierzig Jugendlichen ab der ersten Oberstufe bereits früh um neun Uhr im Familien- und Generationenhaus Sonnegg eingefunden und harrten nun gespannt der Dinge, die sie am Workshop zum Thema «Flucht und Asyl» wohl erwarten mochten. Nach einer kurzen Begrüssung durch Simon Obrist, den neuen Jugendmitarbeiter der reformierten Kirchgemeinde, übernahm Clemens Tuor vom Bildungswerk der Schweizerischen Flüchtlingshilfe als Leiter des Workshops das Wort und erklärte den Teilnehmern den Ablauf der Veranstaltung.

Familien auf der Flucht

Zunächst wurden die Jugendlichen, die den Workshop im Rahmen der Konfirmationsvorbereitung besuchten, in zwei Gruppen eingeteilt. Während die eine Gruppe zur Einführung in die Thematik den Bericht von Ibish Neziraj zu hören bekam, der in den 1990er-Jahren aus dem Kosovo in die Schweiz geflüchtet war, begann für die anderen direkt die nervenaufreibende Flucht aus einem fiktiven Dorf irgendwo auf der Welt, authentisch nachgestellt im interaktiven Simulationsspiel der Flüchtlingshilfe. Aufgeteilt in «Familien» à je vier bis fünf Mitgliedern mussten alle Teilnehmenden zunächst eine neue Identität annehmen und sich anschliessend zur Dorfversammlung auf dem Kirchvorplatz treffen, wo ihnen die Augen verbunden wurden. Plötzlich ertönten Sirenen, Schüsse und Knallkörper zerrissen die samstägliche Ruhe. Barsch wurden sie angewiesen, sich auf den Boden zu legen  – offensichtlich war ihr friedliches Dörfchen Ziel eines Angriffs geworden. Orientierungslos, kreischend und rufend versuchten sie, im Chaos verlorengegangene Familienmitglieder wieder zu finden. War dies gelungen, durften die Jugendlichen ihre Augenbinden wieder abnehmen, mussten nun aber in Windeseile einige Habseligkeiten einpacken und so schnell wie möglich vor den Angreifern fliehen.

«Sonnegg» und Pfarrhaus als Stationen einer Flucht

Weit kamen sie allerdings nicht, denn Soldaten, überzeugend gespielt von Mitarbeitern der Flüchtlingshilfe, versperrten ihnen den Weg und brüllten sie in einer kaum verständlichen Sprache an: «Hände über den Kopf! Hinknien! Aufstehen! Auf einem Bein hüpfen!»
In einem abgedunkelten Raum wurde die verängstigte Gruppe schliesslich eingesperrt und sich selbst überlassen. Es dauerte nicht lange, da betraten zwei zwielichtige Gestalten, offensichtlich Schlepper, den Raum, und boten den Familien an, sie aus der Gefangenschaft zu befreien und über die Grenze zu bringen. Dankbar nahmen die Jugendlichen das Angebot an, natürlich nicht ohne den Schleppern zuvor einen Teil ihrer Habseligkeiten als Bezahlung zu überlassen. Durch Minenfelder und mit Bestechung der Grenzsoldaten gelang den Familien schliesslich glücklicherweise der Grenzübertritt und sie wurden vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge im – natürlich hoffnungslos überfüllten – Flüchtlingscamp im Pfarrhaus aufgenommen.

Hochkonzentriert und interessiert

Hier endete das Spiel und damit auch die Flucht der Jugendlichen. Sichtlich beeindruckt von den verwirrenden, beängstigenden und demütigenden Situationen, denen sie als Flüchtlinge ausgesetzt gewesen waren, diskutierten sie in der gemeinsamen Auswertung ihre Erfahrungen und Emotionen. Hochkonzentriert und sehr interessiert folgten sie den Ausführungen von Clemens Tuor, der ihnen ergänzend zu ihren eigenen Erfahrungen Hintergrundinformationen zur reellen Situation von Flüchtlingen lieferte, und stellten kluge und lösungsorientierte Rückfragen.

Der lange Weg nach Europa

Dass das Ende des Simulationsspiels, die Ankunft in einem Flüchtlingslager, nur einen Bruchteil der Reise eines Flüchtlings darstellt, darüber berichtete Yemane Yohannes der Gruppe im zweiten Teil des Workshops aus eigener Erfahrung. Eindrücklich schilderte er die Umstände, die ihn zur Flucht aus Eritrea gezwungen hatten, und die Gefahren, denen er auf der zweijährigen Reise in die Schweiz ausgesetzt war. Mehrfach befand er sich in Lebensgefahr und verlor während verschiedener Gefängnisaufenthalte fast die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und Freiheit. Seit sieben Jahren lebt er nun in der Schweiz in Sicherheit, hat eine Familie gegründet und macht eine Ausbildung. Sein Heimatland kann er aber nicht betreten und auch seine dort verbliebene Familie nicht besuchen. Er schloss seine Ausführungen daher mit der Antwort auf die Frage der Jugendlichen, mit welchen Mitteln er versuche, seine Landsleute bei ihren Fluchtbemühungen zu unterstützen: «Oberste Priorität hat für mich das Bemühen um die Beendigung von Diktatur und Unterdrückung in Eritrea. Ich wünsche mir, dass sich die Situation dort so weit verbessert, dass die Flucht ein Ende nehmen kann. Asylant wird niemand freiwillig.» Wie wahr diese Aussage ist, das hatten die Jugendlichen an diesem Workshop hautnah erfahren.

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