Hochzeitstag und Route 66

Was für ein Zufall! Just am Tag von Höwis Besuch feierten die beiden Gastgeber in der Wirtschaft zur Schützenstube ihren Hochzeitstag. Teresa hat von Roland einen Blumenstrauss erhalten, und der darf, ja der muss zwingend mit auf das Gastgeberfoto. Das Bild droht damit noch knalliger zu werden, denn das ganze Lokal ist auf «Route 66» getrimmt. Aber bitte maskieren Sie sich jetzt nicht auch noch, sonst kommen Sie wie die alte Fasnacht daher: Das letzte Event war der Frühschoppen am vergangenen Sonntag mit den «Limmatliichen».

Roland und Teresa Perrot führen seit 2006 die Wirtschaft zur Schützenstube.
Hackbraten, Kartoffelstock und Gemüse: Eines der Gerichte, das in der «Schützenstube» zu den Bestsellern gehört.
Die Cremeschnitte, von der man sagt, es sei die beste der Stadt.
Vinzenzo, der heimliche Star des Hauses.
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Hochzeitstag? «Kein Grund, einen freien Tag zu machen», sagt Teresa Perrot, vielleicht noch etwas fröhlicher als an gewöhnlichen Tagen. Das «Teresli», wie sie alle nennen, ist der Sonnenschein des Hauses. Sie begrüsst jeden Stammgast mit Vornamen, weiss, dass Emilie das Mineral gern temperiert möchte, der Peter das Steak mit extra viel Kräuterbutter, und der Pöstler die Schale so richtig hell. Und wenn der Herr am Nebentisch fragt, ob es «Chümi» an den Kutteln habe, kann sie kompetent Auskunft geben: «Nein, denn nicht alle mögen Kümmel, aber sonst bereitet Roland die Kutteln klassisch zu, nach Zürcher Art mit einer Weissweinsauce».

Gutbürgerliche Hausmannskost

«Ich bin ein Koch alter Schule», sagt Roland, der seinen Kochstil als gutbürgerlich bezeichnet. Das Wort – in Deutschland auch als «Hausmannskost» bezeichnet – habe leider noch immer den Beigeschmack von deftig und konventionell, bedeute letztlich aber einfach gutes Handwerk, aufgebaut auf frischen, saisonalen Produkten. Die Gebrüder Grimm, die nicht nur Märchen sammelten, sondern auch das «Deutsche Wörterbuch» verfassten, umschreiben es als «Nahrung, wie sie der Hausvater gewöhnlich für sich und die Seinigen zubereiten lässt». Was für ein patriarchales Rollenverständnis! Vor allem, wenn man erfährt, dass «der Hausvater bevorzugt mit Nahrung versehen wurde», sprich: Er bekam mehr Fleisch, mehr Fett, schlicht mehr von allem. Heute, gut 150 Jahre später, wird zum Glück das Essen fairer verteilt. Ob Weiblein oder Männlein: Wer Hackbraten bestellt, bekommt zwei gleich grosse, dicke Stücke: gut abgeschmeckt, das Brät nicht zu grob, die Sauce hausgemacht. Roland bereitet seinen Fond mit Knochen und allem Drum und Dran zu, und der darf tagelang vor sich hin brutzeln. Und so geht das weiter mit der «gutbürgerlichen» Küche auf der Karte: Cordon bleus vom Schweinsnierstück mit Greyerzer und Vorderschinken in fünf Varianten; Kalbsschnitzel mit Nudeln; Schweinssteak mit Kräuterbutter, Kalbsgeschnetzeltes «Zürcher Art», Käsefondue Neuenburger Art (auf Vorbestellung), am Mittag drei Tagesmenüs, am Freitag eines mit Fisch, am Wochenende Braten, Roastbeef oder Schweinsfilet. Auch die «Kleine Karte» passt ins Klassiker-Konzept: Cervelat mit Brot, Wurst-Käsesalat, Fleischkäse mit zwei Spiegeleiern. Einzig der Salatteller mit den Spargelspitzen (!) will im Februar nicht so ganz ins saisonale Körbchen passen.

Am Stück oder geschnippselt?

Höwi war gespannt wie ein Regenschirm! Denn wenn von «der besten Cremeschnitte der Stadt» geschwärmt wird, was Höwi mehrmals kolportiert wurde, dann muss was dran sein. Dran ist in der Schützenstuben-Version zunächst mal etwas weniger, nämlich keine Glasur. «Ich habe bewusst auf den Zuckerguss verzichtet, denn viele Gäste haben Probleme mit dem Zucker, zudem schmeckt die ganze Cremeschnitte dann nur nach dem Guss» – also füllt Roland die hauchdünnen Blätterteigschichten mit luftiger Rahmcréme und bestäubt sie mit wenig Puderzucker. Und das Teresli schnippselt sie auf Wunsch mit ihrer Spezialcrémschnittenschere in mundgerechte Portionen. Und tatsächlich kommt die Crémeschnitte, die eigentlich eine Rahmschnitte ist, fast an die «beste der Schweiz» heran. Die gibt es im Restaurant «Zum See» oberhalb von Zermatt und hat ebenfalls keinen Guss.
Was macht Roland am Morgen als erstes? Er hört sich um 7.30 Uhr die Wetterprognose an und beginnt erst danach mit der Zubereitung der Schnitten. Sind hohe Temperaturen angesagt, braucht es weniger. Ist es kühl oder regnerisch, gehen die Schnitten weg wie frische Weggli. «Der Rekord war 90 Stück an einem Tag», sagt er stolz. Mit den Banketten und den Abdankungsessen – der Friedhof ist nicht weit – kommt das Haus jährlich auf einige tausend Rahmschnitten. Kenner reservieren sich die gewünschte Anzahl gleich zu Beginn am Tisch. Denn wer zuletzt kommt, geht oft leer aus. Doch das ist kein Grund zum Weinen: Dörrzwetschgen, eingelegt in Burgunder Marc mit hausgemachtem Vanilleglace, Zitronenkuchen oder Zimtrahmglace mit Zwetschgenkompott sind empfehlenswerte Alternativen.

Non filtré und Tour-de-Zürich

Höwi genehmigt sich einen Weissen zum Apéro und staunt nicht schlecht! Im Angebot ist ein «Non filtré» von Mamollin vom Neuenburgersee. Im kleinen Winzerdorf Auvernier wurde der ungefilterte Chasselas von einem Weinbauern namens Godet als Scherz vor über zwanzig Jahren kreiert. Heute ist es eine berühmte Spezialität und Rarität. Nur in den ersten Monaten des Jahres gibt es diesen jungen, trüben Wein. Spätestens jetzt wird Höwi klar, warum Roland Perrot einen leicht französischen Akzent hat: Der Mann ist Romand! Aufgewachsen ist er in Neuchâtel, wo er seine Kochlehre absolvierte. 1982 kam er für einen Stage ins Churrasco nach Zürich. Geplant war ein kurzer Abstecher, doch dann blieb er und machte einen wahre Tour-de-Zürich: Spirgarten in Altstetten; Splügenschloss in der Enge; Zunfthaus zur Safran, Schönau in Erlenbach, Bahnhof Dübendorf, Tobelhof (noch unter Rolf Schönenberger), wieder Dübendorf, dann 1999 erstmals selbständig im Restaurant «Altstadt», bis das Krisenjahr kam mit dem Swissair-Grounding, dem Anschlag auf das World-Trade-Centre, der Bankenkrise. Also wieder Angestellter, diesmal im «Bierfass» in Kloten, wo er eine hübsche blonde Serviertochter kennenlernte. Eine Begegnung, die von Dauer war, wie die Blumen zum achten Hochzeitstag zeigen.

Andres Türler lässt grüssen

Höwi sitzt nicht auf irgendeinem Stuhl, sondern auf demjenigen von Andres Türler. Richtig, das ist der FDP-Stadtrat, der in Höngg wohnt und die VBZ unter sich hat. Dass der Bus vom Meierhofplatz bis vor die Schützenstubentüre fährt, haben wir zumindest indirekt ihm zu verdanken. Als die Wirtschaft gegründet wurde, suchte man Sponsoren. Jeder, der 400 Franken oder mehr gab, wurde als Dankeschön auf einer Stuhllehne namentlich verewigt. So auch Türler. Da er zur Wahl im März 2018 nicht mehr antritt, wird man ihn möglicherweis in Zukunft öfters auf seinem Stuhl sitzen sehen. Apropos Körbchen: Kennen Sie Vinzenzo? Das ist ein zugelaufener Kater. Dank Chip konnte Teresa den Besitzer an der Segantinistrasse ausfindig machen, der bereit war, den Stromer abzugeben. Seither hat Vinzenzo ein gut gepolstertes Häuschen hinter dem Restaurant und darf ab und zu auch drinnen die Runde machen – auf den Armen seiner neuen, stolzen Besitzerin.

Kritik

Einziger Wermutstropfen beim Hackbraten: Es gibt kein Seeli im Stock! Dabei gehört doch genau das zur «gutbürgerlichen» Darreichung dieses Klassikers. Ganze Ozeane hat der Höwi in jungen Jahren aus dem Stock gelöffelt. Dann: Die Website ist etwas ein Durcheinander: Die Weine gehörten in eine separate Rubrik und nicht wild reingewürfelt zwischen «Kleine Karte» und «Desserts». Architektonisch verströmt die Schützenstube den Charme eines Knäckebrots. Innen geht‘s noch, aussen ist es schlicht eine Katastrophe. Versteht sich, dass die Schützen nicht gern gegen die pralle Sonne schiessen. Für die Gäste ist die Terrasse im Sommer jedoch die reine Sauna. Vielleicht könnte man eine Dusche platzieren? Und Gehörschutzpropfen verteilen, wenn die Herren drauflosballern? Das ist allerdings nur in den Sommermonaten der Fall. Vom Menüangebot her wäre noch ein Bio-Poulet angesagt. Erstens passt das zum Gästeprofil, zweitens gibt es Güggeli in «gutbürgerlicher» Qualität kaum noch auf Zürcher Stadtboden. Und sonst? Höwi hat‘s gefallen. Noch ein Restaurant in Höngg, das er wieder besuchen wird.

Wirtschaft zur Schützenstube
Kappenbühlstrasse 80, 8049 Zürich-Höngg
Telefon 044 341 33 59
www.schuetzenstube-hoenggerberg.ch
Dienstag bis Samstag 9 bis 22 Uhr, Sonntag 9 bis 18 Uhr,
Montag Ruhetag

Zum Autor
Er nennt sich Höwi, ist ein stadtbekannter Gastrokritiker und Buchautor und schaut den kochlöffelschwingenden Profis im Kreis 10 in die Töpfe. Die Gastrokolumne erscheint monatlich im Höngger und alle drei Monate im Wipkinger.

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