Detailhandel ist sensibilisiert

Mit vier bis fünf Prozent ist der Detailhandel nur ein kleiner Verursacher von Lebensmittelabfällen, anders als es Bilder von mit geniessbaren Produkten gefüllten Containern oft suggerieren.

Produkte, die nah am Mindesthaltbarkeitsdatum sind, werden heruntergesetzt.
Mit "Ünique" lancierte Coop ein Label für Gemüse und Früchte, die nicht der Norm entsprechen und deswegen oft nicht verkauft werden.
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Die grossen Händler wie Coop, Migros und Denner beschäftigen sich bereits seit Jahren mit dem Thema Foodwaste und haben einige Sensibilisierungsmassnahmen getroffen – denn alles, was weggeworfen werden muss, bedeutet für die Unternehmen neben dem Verlust wertvoller Ressourcen natürlich auch hohe Kosten. Die Genossenschaft Migros Zürich meldet, dass ihre Bemühungen, Verschwendungen zu reduzieren, Früchte tragen: Nur noch 1,4 Prozent der angebotenen Lebensmittel würden nicht als solche verwendet, wiederum 1,1 Prozent davon landet in der Biogasanlage, der Rest wird entweder zu Tierfutter oder Kompost verwertet. Auch Coop hat die Menge der zu entsorgenden Lebensmittel auf 0,2 Prozent senken können. Interessant ist allerdings, dass sowohl Coop als auch Denner – der keine Mengenangaben erhebt – die Vergärung in der Biogasanlage nicht als Vernichtung betrachten. Es stellt sich die Frage, ob die so gewonnene Energie die zur Produktion der Lebensmittel aufgewendete Energie aufwiegen kann.

Gratis Abgabe an spezialisierte Organisationen

Migros und Coop arbeiten ausserdem mit sozialen Institutionen zusammen und geben Produkte, die sich dem Verbrauchsdatum nähern, kostenlos an Organisationen wie «Schweizer Tafel», «Aufgetischt, statt weggeworfen», «Tischlein deck Dich» und andere ab. Für Denner ist der logistische Aufwand mit seinen Filialen mit wenig Mitarbeitern zu gross, «wir unterstützen daher nationale Projekte, wie die Caritas-Märkte in der Schweiz, seit Jahren mit Produktspenden – neuwertige, nicht unverkaufte – im Wert von 250’000 Franken jährlich». Auch die Steiner Flughafenbeck AG arbeitet mit verschiedenen Unternehmen zusammen, um ihre rund zehn Prozent produzierte, aber unverkaufte Ware nicht entsorgen zu müssen. So holt zum Beispiel die «Ässbar», die auch auf dem Areal der ETH Hönggerberg einen Stand betreibt, am Abend die übriggebliebenen Produkte ab und verkauft sie am nächsten Tag als «Frisch von gestern» zu günstigeren Preisen weiter. In den Herbst- und Wintermonaten holt zusätzlich die Pfarrer-Sieber-Stiftung in der Höngger Filiale unverkaufte Ware für den «Pfuusbus» ab. Trotz dieser und weiteren Massnahmen sei Foodwaste schwierig zu vermeiden, schreibt Oliver Häni von Steiner. Deshalb sei die Bäckerei auch Mitglied im Verein «United Against Waste», einem Branchenzusammenschluss im Food Service Sektor, der sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2030 den Foodwaste pro Kopf zu halbieren.

Rabatte und kleinere Verpackungen

Detailhändler geben ausserdem an, schon beim Einkauf exakt zu planen, um Überschüsse zu vermeiden. Dazu braucht es geschultes Personal und gut abgestimmte Prozesse, meldet zum Beispiel die Migros auf Anfrage. «Flexible Bestellsysteme reduzieren Lebensmittelabfälle auf ein Minimum», ist auf der Homepage von Coop zu lesen. Neben den Preisreduktionen bei bald unverkäuflicher Ware macht Denner mit einem Kleber mit der Aufschrift «Save Food – Lebensmittel sind wertvoll» auch die Käufer*innen auf die Thematik aufmerksam. Bei den Eigenmarken könne sie ausserdem auf die Verpackungsgrösse Einfluss nehmen, «Grosspackungen bietet Denner heute tendenziell bei verderblicher Ware weniger an», schreibt Mediensprecher Thomas Kaderli auf Anfrage. «Zu beachten ist allerdings, dass die Verpackungsmaterialien bei kleineren Grössen die Umwelt stärker belasten. Es ist also oft ein Abwägen zwischen einer Reduktion von möglichem Foodwaste oder dem ressourcenschonenden Einsatz der Verpackungsmaterialien». Auch Coop hat den Anteil an Früchten und Gemüse im Offenverkauf erhöht und die Verpackungsgrössen den demografischen Entwicklungen angepasst.

Kreative Verwertungsmethoden

Kleinere Detailhändler wie die Höngger Geschäfte Canto Verde oder Terra Verde setzen vor allem auf ihre Erfahrungen und kaufen nur so viel ein, wie sie auch verkaufen können. Bleiben dennoch Waren liegen – bei Canto Verde sind es etwa drei Prozent – werden diese oft an Kunden verschenkt oder den Mitarbeitern mitgegeben. Bei Produkten, die nahe am Mindesthaltbarkeitsdatum sind, reduzieren beide die Preise. Während Terra Verde mit Organisationen wie «Tischlein deck dich», «Bio für jede» oder Caritas zusammenarbeitet, gibt Canto Verde überschüssige Ware an eine Studenten-WG weiter, hartes Brot nimmt ein Lieferant für seine Schafe mit.

Haltbar machen und kompostieren

Nochmals anders stellt sich die Situation für Betriebe mit eigener Produktion dar: Im Hofladen des Wein & Obsthaus Wegmann im Frankental werden viele Produkte aus eigenem Anbau angeboten. «Da unsere Anlagen alle in kurzer Distanz liegen, ernten wir die Früchte normalerweise nicht auf Vorrat, sondern holen bei Bedarf den nötigen Nachschub», sagt Zarina Wegmann. So kann sie selber regulieren, dass sie nicht zu viel Ware im Laden hat. Alles, was nach 16 Uhr dennoch zurückgeblieben ist, geht in den Eigengebrauch: Entweder die Angestellten nehmen es mit oder die Familie Wegmann verarbeitet es selber. Was nicht gleich verwendet werden kann, wird haltbar gemacht – auch dies ein Vorteil, wenn man eine Produktionsstätte ist. Früchte und Gemüse können eingefroren, zu Konfitüre, Chutney oder Pestos verarbeitet werden. «So unrealistisch es klingt: Bei uns entsteht kein Foodwaste», meint Zarina Wegmann, «alles wird irgendwie verwertet. Denn selbst das, was nicht mehr als Nahrungsmittel verwendet werden kann, landet als Kompost auf unseren Feldern und schliesst damit den Kreislauf».

Lieber öfter einkaufen

Ähnlich ist es bei Bravo Ravioli und Delikatessen in der Wartau: Gemüse und Früchte, die nicht verkauft werden, können zu Suppen, Saucen, Konfitüre und natürlich Ravioli verarbeitet werden. «Wenn wir sehen, dass ein Produkt bald abläuft, aber noch einwandfrei ist, verwenden wir es für das Tagesmenu, beziehungsweise für unser Catering», sagt Daniela Helbling Binkert. «Wir arbeiten nicht mit Preisreduktionen, lieber machen wir spontan einen guten Preis oder schenken etwas dazu, wenn jemand bei uns einkauft». So funktioniere das eigentlich ganz gut im Bravo. Sie sei auch deshalb ein grosser Fan von den Tiefkühl-Raviolis, die sind lange haltbar und kommen direkt gefroren ins Wasser. Neben der Kommunikation zwischen Verkauf und Produktion ist in einem solchen Betrieb natürlich auch der Einkauf sehr wichtig. Dreimal in der Woche bestellt Helbling Fleisch, zweimal Käse-, respektive Milchprodukte. Gemüse und Früchte kommen sogar jeden Tag. Lieber öfter bestellen als auf zu viel Ware sitzenbleiben, ist die Devise.

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