Es weihnachtet sehr. . .

Alle wissen es: Advent, Weihnachten, Neujahr – Zeit der Ruhe, der Einkehr, des Friedens, Zeit für Familie und Freunde. Und was ist es in «Wirklichkeit»?

Das Jahr neigt sich seinem Ende zu – unaufhaltsam wie unzählige vor ihm, seit die Menschheit den Kalender erfunden hat. Davor interessierte dies wohl niemanden. Und es interessiert auch heute nicht alle, zumindest nicht jene, die nach einem anderen Kalender zählen als wir in der westlichen Welt. Doch hier hat spätestens mit dem Anzünden der ersten Adventskerze der leise Abgesang auf das Jahr 2011 nach Christi Geburt begonnen. Das Leben wird entschleunigt, man geniesst die Gesellschaft von Familie und Freunden und geht versöhnlich in sich und auf Mitmenschen zu. Die Küche wird zur Backstube, weil Grossmutters Guetzli-Rezepte eben doch die besten sind, und während sich Zimt- und Kerzenduft im Haus verteilen, basteln die Kinder einträchtig wie nie am Stubentisch die letzten Geschenke und rätseln, was das Christkind dieses Jahr wohl für sie bereit hält. Ja, es weihnachtet sehr in der schönsten Zeit des Jahres.

Doch wo ich mich auch umsehe und -höre, der Monat Dezember zeigt sein Janusgesicht: jenes der grössten Stresszeit des Jahres. Erfüllt vom Wunsch, das Fest der Liebe auch in dem ihm gebührenden Rahmen mit Glanz und Gloria begehen zu können, gerät man leicht unter die Räder des eigenen Perfektionswahns. Als «zwinglianisch» hat dies ein Freund von mir beschrieben, dieses Gefühl, alles noch gewissenhaft erledigen zu wollen, als gäbe es nach Weihnachten kein Morgen mehr. Selbst die Natur will alles noch versöhnlich ins Reine bringen: Jetzt, da ich diesen Text schreibe, beginnt es endlich auch in Höngg in dicken Flocken zu schneien. Wahrscheinlich werden gerade die letzten Heimkehrer der Waldweihnacht auf dem Hönggerberg doch noch eingeschneit, nachdem sie eben noch im triefendnassen Herbstwald Weihnachtslieder gesungen hatten. Wer noch im Berufsleben steht, erlebt täglich, wie von allen Seiten Anliegen an einen herangetragen werden, die noch unbedingt vor dem 24. Dezember zu erledigen sind – kaum ist das Eine erledigt, folgt das Nächste. Und dies in einer Kadenz, die von Januar bis November ihresgleichen sucht. Entsprechend geht es im Privatbereich nicht viel besser zu und her. Anstatt wirklich in Ruhe Zeit zu haben für seine Liebsten, findet man sich in einem wilden Reigen von Terminen wieder, die sich zwar alle irgendwie auf Weihnachten berufen, einem aber kaum Zeit zur Besinnung lassen. Angefangen beim Einkaufen der Geschenke und mit dem Auspacken derselben beendet. Und danach, am 25. Dezember, fühlt man sich so flach und pampig, als könnte man sich problemlos zum Altkarton hinzulegen, zu dem die Geschenkpakete mutiert sind. Wer Glück hat, kommt rechtzeitig zu Silvester wieder zur wahren Besinnung. Für andere aber wird die Frage, wo denn die beste Party zu feiern wäre, gleich zum nächsten Stress. Zumindest diesem Wahn habe ich mich persönlich längst entzogen. Dies geschah zu jener Zeit, als ich noch keine Kinder hatte und im Waidspital arbeitete. Als ich eines Dezembers keine Antwort auf die Frage nach der besten Party wusste, meldete ich mich zum Spätdienst. Um 23.30 Uhr war dieser zu Ende und ich machte mich, unter dem Arm eine Flasche Champagner plus Glas, zu Fuss auf den Heimweg nach Höngg. Beim Müseli setzte ich mich an den Waldrand, genoss den Champagner, das Feuerwerk über Zürich und prostete in Gedanken mit jedem Knall meinen Lieben zu. Danach lief ich durch den verschneiten Wald nach Affoltern und warf dort einer guten Freundin, deren Geburtstag eben begonnen hatte, eine Karte in den Briefkasten. Die letzte, liebe Pflicht des Jahres war erfüllt und Zwingli grüsste. Der Weg erneut durch den Wald und dann durch Höngg, vorbei an erleuchteten Fenstern, da und dort lachende Menschen auf Balkonen, wurde zur wahren Besinnung und ich versöhnte mich mit mir und der Welt, vergab uns beiden alles und jedes. Manches Jahr verbrachte ich darauf so den Silvester und ich bereue noch heute keinen einzigen davon. Und so denke ich heute, da die ersten Schneeflocken vor den Fenstern tanzen, an all jene, denen das Jahr 2011 nicht so viel Gutes gebracht hat. Die Verluste zu erleiden hatten, die Abschied nehmen mussten von ihren Nächsten oder denen Schicksal oder Krankheit übel mitspielten. Und ich denke daran, wie mir jedes Jahr, wenn ich zum ersten Mal das Lied vom Stern von Bethlehem aus der «Zäller Wiehnacht» höre, ein seltsamer Schauer sprichwörtlich über den Rücken fährt. Und ich weiss: ja, es weihnachtet sehr! Ich wünsche Ihnen allen von Herzen besinnliche Weihnachten und einen ebensolchen Start ins neue Jahr.

Ihr
Fredy Haffner
Redaktionsleiter «Höngger»

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