Eisenzeit, Anbauschlacht und ein Nazi-Treffpunkt in Höngg

Am Donnerstag, 11. Juni, trafen sich vierzig Interessierte zu einem Anlass aus der Veranstaltungsreihe «Nah Reisen» von Grün Stadt Zürich und Migros Kulturprozent unter dem Titel «Eisenzeit und Anbauschlacht». Der neunzigjährige Höngger Jakob Heusser, Zeitzeuge der Anbauschlacht, führte Geschichten und Hintergründe so lebendig vor Augen, man hörte beinahe das Sägemehl rieseln.

Schaaggi Hüsser kennt in «seinem» Höngger Wald fast jeden Baum und zu jeder Ecke viele Geschichten, die alle Teilnehmer der «Nah Reisen»-Veranstaltung gleichermassen in den Bann zogen.

Der neunzigjährige Höngger Jakob Heusser, in Höngg als «Schaaggi Hüsser» bekannt, Zeitzeuge der Anbauschlacht und nicht nur dadurch die «gelebte Geschichte» in Person, führte zusammen mit dem Ökologen und Schriftsteller Stefan Ineichen eine interessierte Schar durch die weite und nähere Vergangenheit im «Heizenholz».  Gleich zu Beginn zog er seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit seinem verschmitzten Lächeln und Bemerkungen wie «1934 wurden wir dann Untertanen der Stadt» in seinen Bann. Hinzu fügte er, dass einige Weitsichtige damals für den Verschönerungsverein Höngg noch rechtzeitig Land für 70 Rappen pro Quadratmeter gekauft hatten, unter anderem dort, wo heute der Findlingsgarten an der Kappenbühlstrasse ist. Entlang der Grünwaldstrasse erzählte Jakob Heusser dann Geschichten und Anekdoten aus dem Januar 1943, als auf dem Hönggerberg 20 Hektaren Wald gerodet wurden, um Kartoffeln, Futterrüben und Gerste anzupflanzen. Noch gänzlich ohne Motorsägen wurde Baum um Baum gefällt und mit einem Traktor die Wurzelstöcke ausgerissen. Nur auf die Hilfe der Metzgerburschen konnten die Männer zählen, denn diese waren mangels Schlachtvieh zum Einsatz im Wald gesandt worden. Die heute noch stehenden Eichen blieben von der Rodung verschont, alle Fichten, Lärchen und anderen Laubbäume beidseits der Grünwaldstrasse und andernorts wurden erst in den 50er-Jahren Stück um Stück wieder aufgeforstet. Vor dem grossen eisenzeitlichen Grabhügel an der Ecke Grünwaldstrasse/Bergholzweg erzählte dann Stefan Ineichen, wie es Mitte des 19. Jahrhunderts zur ersten dokumentierten Grabung kam, die aus heutiger wissenschaftlicher Sicht so dilettantisch dokumentiert wurde, dass ihr Wert eher fragwürdig ist.

«Kameradschaftshaus» in Höngg

Ein verschlungener Weg, vorbei an einem zweiten Grabhügel, führte die Gruppe hinunter auf die alte Regensdorferstrasse und aus der Eisenzeit direkt ins Jahr 1941. Dort, heute versteckt hinter dem Wohn- und Tageszentrum Heizenholz, damals aber noch auf offenem Feld, stand das «Kameradschaftshaus» der deutschen Kolonie Zürich – in Höngg ein mehrheitlich unbeliebter Treffpunkt der nationalsozialistischen Deutschen. Im Obergeschoss waren Massenlager und Einzelzimmer, im Erdgeschoss verschiedene Versammlungsräume untergebracht. Jakob Heusser erzählte, wie damals 30 Braunhemden in voller Montur öfters offen das Defilieren übten. Eines Abends konnten er und einige Freunde, auf Fonturlaub mit ihren Pferden zum Training unterwegs, der Versuchung nur knapp widerstehen, aus den «Heiziwellen» im Wald einige kräftige Stöcke zu holen und auf die ungeliebten Gesellen loszugehen. «Heute», so Heusser, «bereue ich es manchmal, dass wir es nicht getan haben, doch damals war es wohl ein kluger Entscheid – das hätte wohl bis auf Bern hinauf Staub aufgewirbelt.» Weniger Skrupel hatten einige Rütihöfler, wie eine Nahreisende berichtete: Ihr Vater und seine Freunde, so erzählte sie, hätten sich damals eine deftige Prügelei mit den nationalsozialistischen Nachbarn geliefert. Stefan Ineichen merkte an, dass er in den Archiven der Stadt darüber aber nichts gefunden habe – was Hönggerinnen und Höngger wohl kaum erstaunt. 1943 war – wenigstens in Höngg – der Spuk vorbei: Der Mietvertrag lief aus, der Besitzer verkaufte das Haus an die Stadt Zürich und diese richtete darin ein Kinderheim ein – die Urzelle des heutigen Wohn- und Tageszentrums Heizenholz. Erstaunlich, wie spannend «NahReisen» doch sein können – es muss gar nicht immer das ferne Ausland sein.

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