Ein Herz voller Paprika und frustrierte Kellner

Zwei schlagfertig-frustrierte Kellner und ein hintergründiger Vorleser begeisterten das Publikum auf Einladung des Forum Höngg am letzten Freitag in der Lila Villa des GZ Höngg/Rütihof: «Widmer!», eine Hommage an den verstorbenen Autor Urs Widmer, brachte einen zum Lachen und Nachdenken.

Die «Kellner» Helmut Vogel und René Ander-Huber sind nicht so brav, wie sie auf dem Foto aussehen (v.l).
Klaus Henner Russius mit dem servierten Spitzkohl – auch eine Gurke bekam er.
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Die Plätze sind gut besetzt im Kellertheater der Lila Villa, und doch ist für einmal alles anders: Das Publikum sitzt nämlich falsch. Also in der falschen Richtung, mit dem Rücken zur Bühne. Aber das ist trotzdem richtig, denn die Bühne ist heute Abend die Bar. Kellner René (René Ander-Huber) sucht laut rufend den «Heeeelmuuut!», der dann auch auftaucht: Helmut (Helmut Vogel) ist ebenfalls Kellner, beide sind korrekt in schwarz-weiss gekleidet. Begrüsst wird das Publikum von ihm mit einem lockeren «Hoi zäme!», bevor nach dem dritten im Bunde gerufen wird: «Heeeennnnerrr!» schallt es durch das Kellertheater, und zur Tür herein kommt Schauspieler Klaus Henner Russius, der sonst «pünktlich wie ein Psychoanalytiker sei».

Welcher Hund?

Gleich entbrannt eine Diskussion darüber, ob und warum ein Psychoanalytiker pünktlich sei. «Redsch so komisch», fährt Helmut mit Wiener Dialekt René an. Der wehrt sich, dass Helmut selber komisch spreche. «Tuns den Hund raus!», fährt Helmut René zackig an «Was für einen Hund?», fragt René ratlos, denn weit und breit ist nirgends ein Hund zu sehen. «Das war doch nur ein Beispiel dafür, wie ich spreche! Und wie sagst du den Satz?» Nachdem sie ihre Dialekte verglichen haben und zum Schluss kommen, dass sie diese in der Garderobe verwechselt haben, kommen sie zum Kern des Abends: «Querfeldein und Kreuzbeet spielen wir heute Sachen von Autor Urs Widmer, wir haben fünf Stunden einfach auf 75 Stunden gekürzt.» «Minuten!», korrigiert der andere. «Kriegen wir das noch hin, wir Penner?» fragen sie den Henner und erinnern sich an die alten Zeiten in «ihrem» Café Odeon, als noch Petroleumlampen brannten und man mit Dampf heizte.

Absurd-witzig und mit hintergründiger Ironie

Die Szenen und Texte von Urs Widmer sind teils witzig, teils absurd und teils nachdenklich. René Ander-Huber und Helmut Vogel spielen die beiden Kellner köstlich, und singen tun sie auch – alte Schlager von «Schöner Gigolo, armer Gigolo» über «Oh, Donna Clara» bis hin zu «Die Juliska aus Budapest» mit ihrem Herzen voller Paprika und «Ausgerechnet Bananen», wo die doch kaum zu kriegen waren.
Die Produktion des «sogar theaters» ist eine Hommage an den anfangs April 2014 verstorbenen Urs Widmer, der die Texte, die nun Klaus Henner Russius liest, in den Vorstellungen selbst hätte lesen sollen. Über die Jahrzehnte hinweg schrieb Urs Widmer den beiden «Kellnern» übertriebene, gar durchtriebene Szenen auf den Leib, welche die beiden in Höngg zum Besten geben. So kommen sie etwa darauf, dass Gletschermumie Ötzi ein Kellner gewesen sein müsse. «Und was trinkt man oben auf dem Berg?» «Eine Bestellung natürlich! Das war ein typischer Kellnermord, und der Ötzi hatte sicher keine ‚Assurance de Garçon‘ für besondere Umstände!»

Kokain auf Bestellung hin serviert

In wilden Odeon-Zeiten sei die Linie Kokain gar auf dem Tisch serviert worden: «Mit Trinkhalm zum Schnupfen für 3.80 Franken – die meisten gaben aber vier Franken» erinnern sich die beiden Kellner, die ihren Gästen manchmal am liebsten «den Hals umdrehen und den Frauen an den Haaren reissen» möchten, besonders, wenn sie so herablassend-freundlich seien. Als einer der beiden das Publikum bemerkt, ruft er entsetzt: «Da sind welche!», der andere entgegnet schnippisch: «Nicht unser Service. Einfach ignorieren!» – das Publikum lacht herzlich ob der gespielten Unverschämtheit.
Klaus Henner Russius, dem nebst einem Getränk auch mal eine Gurke und ein Spitzkohl serviert werden, erzählt Geschichten von Urs Widmer. So etwa die vom Risotto und dem Grappa, der so untrinkbar war, dass die Hersteller-Familie damit Autos ablaugte – die man dann auch mit neuem Anstrich nicht verkaufen konnte, weil sie so sehr nach Alkohol stanken. Unter dem Titel «Hotelgeschichten» taucht der Mann auf, der in einen Raum guckt und «Ach so» sagt. «Aber vielleicht war er auch eine Kuckucksuhr und sagte einfach ‚halb zwo‘», so der Erzähler. So fliesst der komödiantische Abend weiter und geht mit der Nachstellung von Wilhelm Tell’s Apfelschuss seinem Ende zu: Helmut Vogel alias Walterli platziert sich den angebissenen Apfel auf dem Kopf, während René Ander-Huber mit einer Miniatur-Armbrust auf ihn zielt: «Jetzt hör auf zu zittern!» ruft er, selbst wie Espenlaub zitternd, Helmut zu, der still und steif da steht. «Ich zittere nicht», so der Apfelträger, der den «Wilhelm Tell» damit dermassen aus dem Konzept bringt, dass dieser sein Vorhaben gleich abbricht. Als sich die drei Schauspieler vor dem Publikum verbeugen, erhalten sie tosenden Applaus geschenkt, und beim Gläschen danach unterhalten sich einige Besucher mit den sympathischen, humorvollen Herren.

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