Die Antwort ist Ja – alles andere wäre zynisch

Michel Bollag referierte am Mittwoch, 23. November, im reformierten Kirchgemeindehaus über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Nicht nur, aber auch aus jüdischer Sicht.

Michel Bollag: zuhören . . .
. . . aufnehmen . . .
. . . erfassen . . .
. . . und auf den Punkt bringen.
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Die Thematik ist zu komplex, als dass sie in den zwei Stunden in der Zwingli-Stube des reformierten Kirchgemeindehauses hätte umfassend dargelegt werden können. Und auch dieser Bericht über den Abend mit Michel Bollag (siehe Kasten) wird selbige nicht annähernd umfassend wiedergeben können. Dass dies so sein würde, war dem Schreibenden bereits bei Bollags Eröffnungsworten klar: Er stellte sich selbst die Frage, ob er dem Titel seines Referats «Ist der israelisch-palästinensische Konflikt lösbar?» ein «überhaupt noch» hätte einfügen sollen. Einige der 34 Zuhörerinnen und Zuhörer nickten zustimmend.

Falsche Resignation

Der Konflikt sei, so Bollag, geprägt von gegenseitigem Misstrauen und Hass, gewachsen über Jahrzehnte. Das Ergebnis sind Verzweiflung und Resignation auf beiden Seiten. Persönlich ist Bollag, als gläubig-praktizierender Jude, der den Dialog zwischen den Kulturen als unabdingbar betrachtet, der Überzeugung, dass diese Resignation falsch ist: «Aller Schwierigkeiten zum Trotz ist es aus jüdischer Perspektive eine religiöse Pflicht, an eine friedliche Beilegung des Konflikts zu glauben und diese mit Geduld zu fördern.»

Kompromisslose Parteien

Bollag sieht den Grund des Scheiterns aller bisherigen Initiativen darin, dass beide Seiten unfähig waren, Kompromisse in der eigenen Bevölkerung durchzusetzen. Dabei wären genügend Grundlagen für eine Zweistaatenlösung vorhanden, vom Osloer Abkommen bis zur Genfer Initiative. Doch wann immer eine Lösung greifbar schien, verschärften sich beiderseits die gewalttätigen Reaktionen dagegen. Pragmatische Politiker gerieten, und geraten noch, ins Hintertreffen. «Der westliche Beobachter», so resümierte Bollag, «wundert sich zuweilen über die Kompromisslosigkeit der Parteien, vergisst darüber jedoch die lange Blutspur etlicher Religionskriege und zweier Weltkriege, über welche die westlichen Länder erst zu ihrer friedlichen Koexistenz gefunden haben.»

Fremde Identität als Bedrohung

Allzu leicht werde der Konflikt auf Israels Siedlungspolitik reduziert. Würde diese aufgegeben, so der Glaube, wäre der Konflikt gelöst. Bollag will in keiner Weise die gegenwärtige Politik Israels verteidigen, er findet sie gar bedenklich und problematisch. Aber er wehrt sich auch dagegen, die Schuld am Konflikt einseitig den Israelis in die Schuhe zu schieben, denn es gibt auch andere Fakten. So will ein Grossteil der arabischen Welt einen israelischen Staat nicht anerkennen. Sinnbildlich für diese Haltung kommt Israel in vielen arabischen Schulbüchern nicht vor, selbst auf Landkarten ist es nicht eingezeichnet. So nimmt jede Partei die nationale Identität der jeweils anderen Partei als eine Bedrohung für die eigene wahr. Als Folge spricht man sich gegenseitig das Recht auf einen souveränen Staat ab. Erschwerend: Beide Seiten hatten, historisch betrachtet, noch nicht lange Zeit, ihre nationale Identität zu entwickeln. Das jüdische Volk erst seit der Gründung Israels 1948 und die Palästinenser lösten sich − und lösen sich noch − nur langsam aus ihrer Definition als Angehörige der Arabischen Nation. Beide Völker sind in Traditionen verwurzelt, die stark religiös geprägt sind und ihre Daseinsberechtigung geradezu mythisch an das gleiche Stück Land knüpfen. Es geht also in erster Linie nicht um Land, Wasser oder Bodenschätze, sondern um Ideologien − eine Opfermentalität auf beiden Seiten ist damit vorprogrammiert.

Nötiger Lernprozess für alle

«Solange Vernichtungsängste auf beiden Seiten geschürt werden, ist eine dauerhafte Lösung nicht in Sicht.» Um diese abzubauen, ist es, so Bollag, parallel zu den politischen Bemühungen unabdinglich, einen Dia log zwischen den beiden Kulturen und Religionen zu fördern − um Feindbilder abzubauen, dem anderen ein Gesicht zu geben. Dies bedinge einen Lernprozess, der es beiden Seiten ermöglichen würde, die Perspektive der Gegenseite zu verstehen. Etwas das unerlässlich ist, um Frieden zu schliessen. Auch die Zuschauer, zum Beispiel die westliche Welt, müssten dies lernen, betonte Bollag. Die so indirekt Angesprochenen im Saal reagierten, nach einer kurzen Pause bei Getränken und Snacks, auf das lange, sehr anspruchsvolle Referat von Michel Bollag mit ähnlich differenzierten Fragen, die wiederum ausführlich beantwortet wurden. Als Quintessenz lässt sich vielleicht festhalten: Es gibt kein Nehmen ohne ein Geben – was bereits bei kleinen Konflikten gilt, ist bei grösseren umso bedeutender. «Der Konflikt ist lösbar, jede andere Antwort wäre zynisch», hatte Bollag gesagt – bloss wann, das ist eine andere Frage, und die weiss niemand zu beantworten.

Michel Bollag studierte die Tora in Jerusalem, Pädagogik, Psychologie und Philosophie in Zürich und ist Fachreferent Judentum sowie Co-Leiter des Zürcher Lehrhauses in Höngg, das sich seit 1993 dem Dialog zwischen Judentum; Christentum und Islam widmet. Weitere Informationen unter www.zuercher-lehrhaus.ch