Danke, Maria Becker, danke

Eine tief beeindruckende Begegnung war dem Höngger Publikum am vergangenen Sonntag vergönnt: Auf Einladung des Forums Höngg war Maria Becker zu Gast.

Maria Becker im Kreise ihrer faszinierten Gäste . . .  
. . . und im Element bei der Lesung.
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Mit der ihr eigenen, unglaublichen Präsenz fesselte die grosse Dame des deutschsprachigen Theaters das Publikum anlässlich der szenischen Lesung aus ihrem Buch «Schliesslich ist man doch jeden Abend ein anderer Mensch» und liess es teilhaben an ihrer sehr persönlichen Rückschau auf 90 Jahre gelebtes Leben. Gespannte Unruhe herrschte im Fasskeller der Firma Zweifel. Einige Unentwegte hofften auch noch kurz vor Beginn auf einen Platz im eigentlich seit Tagen ausverkauften Rund. Wurde ihre Hoffnung erfüllt – wir wissen es nicht. Denn nun teilten sich die Sitzreihen und langsam, etwas unsicher, schritt Maria Becker an zwei Krücken auf die Bühne, die ihr Leben bedeutet. Ein Tisch, zwei Stühle, eine Stehlampe – bis jetzt blosse Staffage, plötzlich intimer Ort persönlicher Begegnung. «Du solltest deine Erlebnisse aufschreiben, Maria.» Wenn Maria Becker diesen ihren ersten Satz liest, hat sie mit ihrer Persönlichkeit den Saal längst eingenommen. Die Künstlerin weiss um ihre Wirkung, unterstreicht ihre Erscheinung mit einer Jacke in kräftigem Orange, welches Teint und Haar perfekt kontrastiert. Ihre körperliche Gebrechlichkeit, die hat das Publikum längst vergessen, wenn sie mit starker, unverwechselbarer Stimme, präziser Diktion und unvergleichlichem Sinn für Interpretation aus ihren Erinnerungen liest. Und als wäre das nicht genug, spricht ihre Mimik Bände, lässt mehr, als jede Bewegung es könnte, das Publikum am Geschehen, an ihrem Leben, teilhaben. Ein wahrhaft grosses Geschenk! François Baer, Präsident des Forums Höngg, begleitete durch diese szenische Lesung mit Maria Becker. Durch seinen Deutschlehrer kam er in der Sekundarschule zum ersten Mal mit der Schauspielerin in Berührung, deren Stimme ab Tonspule den Jugendlichen zeigen sollte, «wie man richtig gut deutsch spricht». Mit den die Lesung vorbereitenden Gesprächen und im Umstand, dass er ihr nun gegenübersitze, schliesse sich der Kreis für ihn aufs Trefflichste. Immer wieder verband er an diesem Abend die von Maria Becker vorgetragenen Buchpassagen miteinander.

Mach doch lieber was anderes

Und Maria Becker, ganz Profi, übernahm jeweils prompt aufs Stichwort ihren Part, wie sie das ja beinahe ihr Leben lang getan hat. Natürlich ohne Mikrofon. Liess das Publikum teilhaben an ihrer Jugend, der Zeit im Internat auf der Insel Juist, dem Kleist-Lyzeum in Berlin, dem aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland. Und ihrem Wunsch, Schauspielerin zu werden. «Bist du wahnsinnig? Das ist ein unglaublich schwerer und unsicherer Beruf. Mach doch lieber etwas anderes», war darauf die Antwort ihrer Mutter, der berühmten Schauspielerin Maria Fein. Aber es kam anders. Am Ende von Maria Beckers erstem Vorsprechen meinte der Regisseur Ludwig Berger zu ihrer Mutter: «Ja, lass sie Schauspielerin werden. Sie ist noch etwas durchsichtig, aber mit einigen Vorgaben wird sie schnell Präsenz gewinnen.» Das Publikum erfuhr von der Flucht aus Wien nach England, von dort dann in die Schweiz, wo Maria Becker ab 1938 am Zürcher Schauspielhaus engagiert war, mit vielen Grossen und Emigrierten spielte und Freundschaften pflegte. Sie berichtete von unglaublichen 28 Premieren pro Saison. Hier in Zürich gelang ihr der Durchbruch als Johanna von Orléans, und sie wurde zur tragenden Schauspielerin an der Pfauenbühne, der sie über 60 Jahre die Treue hielt. «Das Älterwerden habe ich für mich nie als Tragödie aufgefasst. Wie sollte ich auch, da ich erst mit sechzig langsam zu Verstand gekommen bin. Seitdem kann ich gut Abstand zu mir selbst halten, was ich früher kaum konnte. Da wurde ich immer gleich persönlich, wenn einer nicht so dachte wie ich. Gott sei Dank habe ich mich in diesem Punkt entwickelt.» Die Arbeit an ihrer Autobiografie bezeichnet Maria Becker als schönes Ziel, «um meinem neunzigsten Geburtstag im Januar 2010 einen Rahmen zu geben – ein schönes Ziel, ihn überhaupt erleben zu wollen». Sicher war es nicht nur ein freudvolles Unterfangen, denn sie hatte neben all den Erfolgen in ihrem Leben auch Brüche hinzunehmen. Während knapp zweier Stunden liess Maria Becker am Sonntag ihr Publikum für einen flüchtigen Moment an all dem teilhaben.

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