Damit der Berg keine Maus gebiert

120 Personen waren am Abend des 26. Juni ins Kirchgemeindehaus Wipkingen gekommen, um zu hören, was vom aufgegleisten Mitwirkungsprozess «Verkehr Kreis 10» zu erwarten ist.

Strassenverkehr Kreis 10: Wirklich gross für dei Mitwirkung sind die Möglichkeiten nur innerhalb der grün markierten Projekte.

Die Verkehrssituation im Kreis 10, Höngg und Wipkingen, darf an mancher Stelle als verfahren bezeichnet werden. Aus Höngger Sicht speziell rund um den Meierhofplatz. Seit Jahren wird auf verschiedenen politischen und behördlichen Wegen nach einer Lösung gesucht – das Verkehrskonzept der Dienstabteilung Verkehr (DAV), Stichwort Rechtsabbiegegebot am Meierhofplatz, zu dem nach wie vor Einsprachen hängig sind, ist nur eines von vielen Mosaiksteinen. Mit dem Start des Mitwirkungsverfahrens, in dem die Verkehrsthematik über den ganzen Kreis 10 betrachtet werden soll, macht die Stadt nun den Schritt zurück zum Start. «Verkehr lässt sich nicht nur lokal lösen», so Stadtrat Daniel Leupi, Vorsteher des Polizeidepartements, in seinen Eröffnungsworten. Und er ergänzte: «Uns geht es darum, einen Neustart auszulösen. Es ist der Stadt bewusst, dass einiges bislang nicht optimal lief, auch seitens der Stadt nicht, was ich sehr bedaure.» Doch nun wolle man die Gelegenheit ergreifen und versuchen, mit allen Beteiligten einen Konsens zu finden, der in den Quartieren getragen wird. Wenig später betonte er ebenso deutlich, dass ein solcher Mitwirkungsprozess nicht zu verpflichtenden, rechtsgültigen Beschlüssen führt, sondern lediglich zu Empfehlungen zuhanden der Stadt. Was diese daraus dann mache, bleibe vorerst offen.

Wer redet mit und was ist möglich?

Beteiligt am Mitwirkungsprozess sind die Stadt Zürich, Verkehrsplaner und Vertretungen aus Höngg und Wipkingen. Diese setzen sich aus Vertretern der politischen Parteien, Quartier- und Gewerbevereinen, Interessengemeinschaften, Kirchgemeinden und Einzelpersonen zusammen. Wer Höngg vertreten wird, war bis zum Redaktionsschluss namentlich noch nicht bekannt. «Wir können nicht das ganze Quartier beteiligen, das gäbe einen zu grossen Prozess. Die Gruppe muss überschaubar sein, sonst kommt man zu keinem Ergebnis», so Leupi. Auch der Spielraum, in welchem sich die Mitwirkung entfalten kann, ist begrenzt. Er hat sich kantonalen, regionalen und kommunalen Richtplänen der Verkehrsplanung unterzuordnen, rechtlichen Vorgaben aller Ebenen zu genügen und muss auch noch diverse Infrastrukturplanungen berücksichtigen. Weiter wirkt erschwerend, dass der Mitwirkungsprozess, der nun gestartet wird, ganz zu Beginn einer Verfahrenskette steht, die letztlich in der Ausarbeitung einzelner Projekte endet – danach folgen zu konkreten Projekten noch Mit- und Einsprachemöglichkeiten von Berechtigten nach Paragraf 13 und 16 sowie die Bewilligung der nötigen Gelder durch die Behörden oder gar durch Volk und Parlamente. Bei allem guten Willen, den man einem Mitwirkungsprozess entgegenbringen soll, bleibt die Frage, was wohl unter diesen Bedingungen am Ende von einer Idee aus der Gruppe übrig bleibt?

Viel Skepsis in den Quartieren

Neben Daniel Leupi auf dem Podium sass Stadträtin Ruth Genner, Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements der Stadt Zürich. Sie erinnerte an das Mitbestimmungsrecht des Kantons auf Staatsstrassen und an das geltende Prinzip, wonach Verkehrsströme auf übergeordneten Strassen kanalisiert und für alle Verkehrsströme geplant werden müssten. Auch seien die vielen anstehenden Sanierungsarbeiten zu berücksichtigen und auch Genner betonte, dass nicht alles Wünschbare realisiert werden könne. Vor allem aber, und das führte zu einem Raunen im Saal, hob sie hervor, dass Nordbrücke und Rosengarten nicht Bestandteil dieses Mitwirkungsverfahrens seien. «Beide Teilprojekte sind Gegenstand aktueller Tätigkeiten und politischer Debatten, auch auf Kantonsebene. Eine Thematisierung in den Workshops würde die bereits laufenden separaten Prozesse verzögern. Zudem müssen an der Nordbrücke jetzt dringende Sanierungsarbeiten in Angriff genommen, die keinen Aufschub mehr zulassen.» In der Fragerunde meldete sich Kantonsrätin Carmen Walker Späh (FDP) denn auch zu Wort: «Ich bin enttäuscht, dass das Herzstück, das Thema Rosengartenstrasse, ein Tabuthema ist und nicht diskutiert werden darf. Nach 40 Jahren Provisorium. Es sollte wenigstens möglich sein, dass Aussagen aus der Gruppe dazu zugelassen und angehört werden.» Auch die anderen Stimmen äusserten sich mehrheitlich kritisch. So auch Beni Weder, Präsident des Quartiervereins Wipkingen: «Wir erleben jetzt, nach Wipkingerplatz und Röschibachplatz, das dritte Mitwirkungsverfahren. Der Röschibachplatz wird nun mit dem Verfahren zum Kreis 10 koordiniert und am Wipkingerplatz wird mit Verweis auf das Rosengartentram nichts gemacht. Ich vermute, dass das aktuelle Verfahren auch nicht zielführend ist. Mir tut das leid für all die Leute, die mitgewirkt haben.»
Andere verlangten nach Befreiungsschlägen, zumindest im Denken. Der Waidhaldentunnel kam zur Sprache und ein anwesender Höngger mochte sich noch gut daran erinnern, wie er, damals am Bau der Europabrücke beteiligt, den leitendenden Ingenieur täglich fluchen hörte, weil er kein Loch nach Affoltern bauen durfte: «Bevölkerung und Verkehr wuchsen seither weiter, es wäre an der Zeit, ein grosszügiges Projekt zu planen».

Was geht eigentlich Am Wasser?

Eine aufschlussreiche Erkenntnis öffnete die Frage eines Anwohners der Strasse Am Wasser, der sich nach dem Stand des Sanierungsprojekts auf der verkehrsgeplagten Achse Am Wasser/Breitensteinstrasse erkundigte. Aufgegleist worden war das grosse Projekt 2004, im Dezember 2009 kündigte der zuständige Quartiermanager des Tiefbauamtes, Hans-Rudolf Christen, eine Realisierung für 2012 oder 2013 an. Zahlreiche neue Gehsteige, Radstreifen, Verkehrsinseln und Neugestaltungen der Fussgängerübergänge hätten, so hoffte man, zu einer Verkehrsberuhigung führen sollen. Nun, selbst im Saal anwesend, musste Christen Verzögerungen bekannt geben: Erst diesen Herbst soll die Planauflage des Abschnitts Hardturmstrasse bis Tobeleggweg erfolgen. Von dort weiter bis zur Europabrücke, wo die gefährlichste Stelle vor dem Haus Am Wasser 108 mit einem hangseitigen Gehsteig entschärft werden soll, hat das Projekt die rechtlichen Verfahren mittlerweile immerhin durchlaufen und ist bereit zur Ausführung. Der Baubeginn ist nun jedoch erst für 2015 oder gar 2016 geplant. Erklärt wird dies mit Budgetplanungen und dem Vorziehen von dringenderen Projekten, was bei den Betroffenen im Saal Unverständnis auslöste.

Aufruf zur Zusammenarbeit

Auch vor diesem Hintergrund rief Andreas Egli, der als Vertreter des Quartiervereins Höngg am Mitwirkungsprozess teilnehmen wird, dazu auf, nun kein Schwarzpeterspiel zu betreiben: «Es darf nicht die eine Strasse gegen die andere ausgespielt werden. Ich sehe das als meine Aufgabe in dieser Gruppe und freue mich auf die gute Zusammenarbeit mit allen.» Und, so fügte er an, man müsse die Erwartungen wohl etwas tiefer setzen, denn die Verkehrsprobleme in Höngg würden nicht so schnell gelöst, es gelte vielmehr, langfristige Perspektiven zu berücksichtigen. Auch Stadtrat Leupi appellierte: «Gehen Sie alle ohne grosse Vorbedingungen auf den Prozess ein. Nutzen Sie die Chance und versuchen Sie, Gemeinsamkeiten zu finden und dem Parlament und dem Stadtrat Vorschläge und Wünsche aufzuzeigen.» Was bleibt, ist zu hoffen, dass der Berg keine Maus, sondern ein lebensfähiges, artgerechtes Baby gebären wird.   

Legende:
Strassenverkehr Kreis 10: Wirklich gross für die Mitwirkung sind die Möglichkeiten nur innerhalb der grün markierten Projekte.
(Fredy Haffner)

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