Bahnhof Wipkingen – ein Stadtzürcher Märchen

Es war einmal... ein kleiner, verwunschener Bahnhof in Wipkingen. Der Bahnhof entsprach vielleicht nicht den Vorstellungen eines technikaffinen, leitenden ZVV-Angestellten, wie auch nicht eines stromlinienförmigen SBB-Kaderangestellten.

Judith Stofer, Kantonsrätin AL

Er entsprach höchstwahrscheinlich auch nicht den visionären Vorstellungen eines führenden Mitglieds des Gremiums, das für die Geschicke der grossen Stadt zuständig war. Wichtiger als nachhaltige Verkehrsbedürfnisse von einfachen Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohnern waren dem führenden Mitglied der grossen Stadt die Trams und Busse, die Produktion von Strom aus erneuerbaren Quellen, die Teilnahme an internationalen Leichtathletik-Meetings – natürlich als VIP-Zuschauer – oder die Wanderungen in freier Natur.
Nicht dass wir etwas gegen die nachhaltige Produktion von Elektrizität hätten. Dieser noblen Aufgabe für das Wohl der Bevölkerung der grossen Stadt und ganz im Sinne der Erhaltung einer lebenswerten Welt gebührt Ehre. Vielmehr hätten wir uns aber gerne an einer einfachen Geste der Unterstützung in Sachen verwunschener Bahnhof erfreut.

Früher weideten links und rechts noch Schafe

Der verwunschene Bahnhof entsprach auch nicht den Standards einer modernen Welt. Er wirkte etwas schmuddelig. Auf dem Perron roch es nach Eisenbahnstaub, ein paar Bänkchen luden die Wartenden zum Sitzen ein, ein kleines Wartehäuschen bot im Winter Schutz vor der Kälte. Der Flugrost hatte sich in die Träger der Perronüberdachung gefressen und verbreitete so ein leicht bräunliches Licht.
Schmale, ausgetretene Treppen führten in die beiden engen Unterführungen hinunter, die keinen Platz für Kommerz, Shops und Take­aways boten. Auf der anderen Seite führten sie wieder zu einem Bahnhofsgebäude aus den 1930er Jahren hinauf. In früheren Jahren weideten auf dem linken und rechten Bahnbord sogar noch Schafe.
Die Nutzenden aus Wipkingen und Höngg, aus den umliegenden Quartieren und aus den Orten aus­serhalb der grossen Stadt störte dieser altmodische Charme des verwunschenen Bahnhofs nicht. Vielmehr erfreuten sie sich an den Zügen, die sie direkt und ohne Umsteigen ans linke Seeufer, zum Flughafen, ins Oberland, an den Escher-Wyss-Platz oder nach Winterthur führten. 5500 Ein- und Ausstiege täglich verzeichnete Wipkingen und gehörte damit zu den gut genutzten Bahnhöfen im Kanton.

Einsatz von vielen half nichts

Doch diese Idylle wird bald ein Ende haben. Statt beim verwunschenen Bahnhof anzuhalten, brausen die Züge, ausser einer Linie, ab Mitte Juni einfach tief unter der Erde und in einem grossen Bogen an Wipkingen vorbei. Denn die bösen Wipkingerinnen und Wipkinger hatten sich vor sehr, sehr vielen Jahren gegen den Ausbau auf vier Spuren der beschaulichen Strecke zwischen Hauptbahnhof und Oerlikon gewehrt. Das musste bestraft werden. Die Planung für den Bahnhof Wipkingen wurde in den Dornröschenmodus versetzt. Da half auch der Einsatz vieler – Politisierender verschiedener Parteien, Nutzender, Quartierbewohner und des Quartiervereins Wipkingen – für eine bessere Anbindung von Wipkingen ans S-Bahn-Netz nichts. Es war, als würden sie gegen eine Gummiwand anrennen.
Viele Märchen enden positiv. Nimmt auch diese Geschichte eine gute Wendung? Die Nutzenden haben es in der Hand. Zurzeit sammeln sie Unterschriften für einen «Viertelstundentakt ab Bahnhof Wipkingen» – bis heute sind mehr als 5000 zusammengekommen.

Judith Stofer, Kantonsrätin Alternative Liste, Kreis 10

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