Austauschschüler Carlos nimmt Abschied von Höngg

Im letzten Oktober berichtete der «Höngger» über den brasilianischen Austauschschüler Carlos. Nun ist seine Zeit in Höngg vorbei, am 4. Juli flog er heim – doch zuerst erzählte er dem «Höngger» von seinen Erlebnissen.

Gastmutter Cristina Vieira Oberholzer mit Gastsohn Carlos vor dem Grill, an dem er sein Können gelernt hat.

Ein schlanker Teenager, der die Redaktorin mit einem herzlichen Hallo begrüsst, öffnet die Tür – der erste Eindruck täuscht nicht: Carlos hat Gewicht verloren. «Ich jogge, bin mit dem Fahrrad unterwegs und spiele mit meinem Gast-Bruder Caio Fussball. Ich fühle mich schlanker viel wohler!», erzählt Carlos auf Hochdeutsch. Als die Redaktorin ihn und seine Gastfamilie letzten Oktober besuchte, sprach er erst wenig Deutsch, nun kann man mit ihm ein ganzes Gespräch führen.

Riesige Fortschritte gemacht

Der junge Mann, am 30. August wird er 18, hat riesige Fortschritte gemacht. «Ich verstehe fast alles, was unsere Lehrer im Gymnasium Rämibühl sagen, und kann mich gut unterhalten», erzählt er. Er habe viele Leute kennengelernt und geniesse jeden Tag: «Das Leben in der Schweiz, besonders in Höngg, ist für mich wie ein grandioser Film, ein Traum. Es gibt so viele Möglichkeiten, die einem geboten werden, und die Natur ist so schön.» Es sind die kleinen Dinge im Alltag, welche für ihn Freiheit und Selbständigkeit bedeuten – eine Velofahrt der Limmat entlang, ein Bad im Zürichsee, einfach spazieren gehen – Dinge, die für Schweizer selbstverständlich sind. Das ist in der Grossstadt Cuiaba, wo Carlos wohnt, nicht möglich. Man habe immer Angst, wenn man unterwegs sei, erzählt er. Auch Sport treiben sei nicht einfach: Wenn er irgendwohin wolle, so müsse er mit seinen Eltern dorthin fahren. «Hier gehe ich zwei- bis dreimal in der Woche ins Fitnesscenter, jogge und gehe in die Badi «Im Hölzli». Wenn ich wieder in Brasilien bin, werde ich mit meinem Vater zusammen Aikido machen. Und mit einem Freund habe ich schon abgemacht, dass wir ins Fitnesstraining gehen.» Der junge Mann hat sich zum richtigen Sportfan entwickelt und auch begonnen, sich bewusster zu ernähren. Seine Gastmutter Cristina Vieira Oberholzer, selbst aus Brasilien, erzählt, dass man in ihrem Heimatland weniger auf gesunde Ernährung achte und viel Frittiertes esse. Carlos habe sich bei ihnen zum veritablen Grillchef entwickelt: «Seitdem es warm ist, grillieren wir jeden Abend Fleisch, Gemüse und Käse. Nachdem mein Mann Dominik und ich Carlos gezeigt haben, wie dies funktioniert, macht er es selbständig und bringt uns die fertig gegarten Sachen auf den Teller – wie es eben ein perfekter Grillchef tut», so die begeisterte Gastmutter. Auch Kuchen könne er nun backen, erzählt Carlos, so etwa Rhabarberwähe. «Wenn ich wieder daheim bin, möchte ich unbedingt oft selbst kochen, ich weiss nun, wie man es macht, und es ist gesünder, als Essen zu bestellen.» – «Ich werde unseren Grillchef vermissen!», sagt sein Gastmami mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Nur bei tristem Wetter Heimweh gehabt

Drei Wochen war er bei zwei befreundeten Familien der Oberholzers untergebracht, als diese in den Ferien waren und ihn nicht mitnehmen konnten. «Dies hat mir gefallen, ich war in Solothurn und in Lachen/SZ und musste ganz viel Deutsch reden, da die eine Familie gar kein Portugiesisch konnte – ein gutes Training für mich.» Mit Dominik Oberholzer hat er ebenfalls nur Deutsch gesprochen, mit Cristina Vieira Oberholzer Deutsch, Portugiesisch und Englisch, da sie Englischlehrerin ist: «So spreche ich nun auch gut Englisch, das ist super!», freut sich der Teenager. Heimweh habe er vor allem gehabt, wenn das Wetter dunkel und trist gewesen sei, und sowieso habe er mit den anderen Austauschschülern gut darüber reden können, da es ja allen gleich gegangen sei. Heim möchte er trotzdem noch nicht sofort: «Ich könnte mir gut vorstellen, noch ein paar Monate hierzubleiben. Aber der andere Teil von mir freut sich auch sehr darauf, wieder nach Cuiaba zu kommen.» Wenn er heimkommt, muss er eine Prüfung schreiben, ähnlich wie hier die Maturarbeit. Was danach kommt, ist offen. «Aber ich möchte auf jeden Fall wieder einmal in die Schweiz kommen, nur schon, um meine Gastfamilie zu besuchen. Sie ist für mich meine zweite Familie geworden, ich bin sehr glücklich, dass wir zusammengefunden haben.»

Voll des Lobes

Auch die Oberholzers sind voll des Lobes: «Carlos ist in dieser Zeit unser drittes Kind gewesen. Unser bald elfjähriger Sohn Caio wird von ihm Bruder oder Brother genannt, unsere siebenjährige Tochter Ana Clara nennt ihn ‹Maninho›, also ‹kleiner Bruder›, obwohl er elf Jahre älter ist als sie. Ich denke, sie will ihm so zeigen, dass sie ihn schätzt.» Für Caio sei er ein gutes Jungen-Vorbild gewesen, sportlich, freundlich, unkompliziert. «Ich hoffe, meine Kinder haben gemerkt, dass man nett zueinander sein und nicht immer auf einen Nutzen schauen sollte. Was zählt, ist die Beziehung zueinander. Wenn etwas im Herzen bleibt, dann zeigt dies, dass man das Richtige gemacht hat.» Dies ist hier bei allen Beteiligten definitiv der Fall.

Tipps von Carlos für Austauschschüler:
– Man muss offen sein
– Die Gastfamilie ist ein sehr wichtiger Teil, man soll beim Handeln auch an sie denken
– Man soll nicht zu viel erwarten, sondern jeden Tag geniessen und nichts auf morgen verschieben