6 x 75 Jahre in Höngg – Teil 2

Im ersten Teil erzählten die sechs Hönggerinnen von ihrer Kindheit in Höngg, Erlebnissen mit Autos, Schlittenfahrten auf der Regensdorferstrasse und Lehrkräfte. Um Erinnerungen an Schulkameraden und Regeln im Schulhaus geht es im zweiten Teil.

Schule damals: Marie-Antoinette Lauer-Moos (1), Ursula Volkart-Lahme (2), Erika Ringger-Mayer (3), Elsbeth Huber (4) in der sechsten Klasse bei Lehrer Hans Strickler (5).
Aufgenommen vor 1948: das Haus am Meierhofplatz, wo heute die «Westporte» steht, zwischen dem Polizeiposten und Foto-Video Peyer.
Margrit Furrer-Hartmann vor ihrem Elternhaus.
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An Klassenkameraden erinnerten sich natürlich alle. Unter anderen auch an viele namens Schicker. Die Schickers waren eine Bauernfamilie, oben an der Gsteigstrasse, 12 oder 13 Kinder, so die vage Erinnerung der Tischrunde. «Wer in jenen Jahren in Höngg zur Schule ging», schmunzelte Margrit Furrer-Hartmann, «hatte sicher einen Schicker in der Klasse.» Bei ihnen war das der Werner, und Lehrer Hans Strickler soll diesen Buben so richtig «auf dem Zahn» gehabt haben, wie Elsbeth Huber erzählte: «Werni kam oft schmutzig und barfuss daher, Strickler jagte den armen Kerl regelmässig nach Hause, damit er sich ordentlich waschen und anziehen möge, dabei hatten sie doch sicher gar nicht das Geld, um allen Schuhe zu kaufen.» Die Kinder allerdings beneideten den Jungen manchmal gar ums Barfussgehen. «Und genau dieser Werni hat mir mal ein Veilchen gehauen», warf Marie-Antoinette Lauer-Moos da ein, die als Kind Wachstumsprobleme mit einem Bein hatte und deswegen oft ausgelacht wurde. «Von wegen ‹schöne Zeit›, an die ihr euch erinnert, für mich war es oft gar nicht schön.» Worauf sich Margrit noch empörte und ihre Schulfreundin in Schutz nahm, die nun anfügte, einmal sei sie sogar die Treppe hinuntergestossen worden. «Marieli betrieb das als Sport, aus purem Blödsinn – mir brach sie so einen Arm. Bis sich dann jemand von den Eltern beschwerte und sie Probleme bekam», erzählte Elsbeth und Marie-Antoinette fuhr fort: «Ich musste mich immer verstecken und wusste, wem ich besser aus dem Weg zu gehen hatte. Nur der Theo Schaub, der hat mich mal gegen alle anderen verteidigt.» So wurde dann noch dies und das von anderen erzählt, die Täter oder Opfer waren – das Leben war damals offenbar manchmal gleich unfair zu den Kindern wie heute. Und wo es um Fairness geht, kommen Regeln ins Spiel – und damit schwenkten die Erinnerungen auf den Schulhausabwart um.

Jod wurde vom Abwart in Massen verwendet

«Bei kleineren Verletzungen musste man zu Abwart Hans Schlumpf und der kippte dann massenhaft Jod über die Wunden, das brannte fürchterlich!», erinnerte sich Margrit und fuhr fort: «Und im Winter kontrollierte er immer wie der ‹Häftlimacher› unsere Schuhe, damit ja kein Schnee ins Schulhaus kam.» Ebenso erinnerte sie sich, wie die Seitentüre gegen die Bläsistrasse für die Lehrerschaft reserviert war: «Aber wenn wir vom Maas oben zu spät kamen, rannten wir trotzdem dort rein – und meistens direkt in die Arme ‹vom Schlumpf›.» «Lass dich nicht erwischen», schmunzelte da die ehemalige Lehrerin Ursula Volkart-Lahme, «das war schon immer so.» – «Ja», entgegnete Margrit, «doch das wirkte auch nicht immer.» «Schlumpfs Wohnung war doch im Untergeschoss des Bläsis und als wir dort so lange auf dem Gartenzaun sassen, bis er krachte, da hiess es einfach ‹Wer war dies?›, und als wir dann alle solidarisch aufstanden, gab es einfach eine Klassenstrafe. Eine Schreibarbeit in Schönschrift.» Doch trotz allem, die Zeit verwischt manches und so stimmten alle am Tisch in Erika Ringger-Mayers Fazit mit ein: «Wir hatten eine ganz schöne Schulzeit und lernten viel bei unseren Lehrern.» «Oh ja», stöhnte Leonie von Aesch-Weinmann: «Wenn ich denke, wie wir in Orthographie noch gedrillt wurden, wir machen sicher keine Schreibfehler.» Doch Erika blieb dabei: Es war eine freudige Jugend. Und zu den Freuden der Schulzeit gehörten damals schon die unerlaubten Pausenausflüge, um sich etwas Süsses zu beschaffen, wie Margrit erzählt: «Für ‹Bärendreckstengel› oder Süssholz rüber zu Frau Dallavecchia, die hatte einen Kiosk, dort wo heute der Polizeiposten ist, also die Westporte, aber an deren Stelle stand vor 1948 noch ein altes Haus. ‹Dallazwätschge› nannten wir sie unter uns – und zu ihr schlichen wir uns jeweils rüber.» Und wie man in Bäckerei und Tea-Room von Hans Johner an der Limmattalstrasse ging, dort wo heute die Firma ES-Technik ist, um ‹Fünfermocken› einzukaufen, daran erinnerten sich alle. Regelübertretungen, wie sie auch heute noch Thema in unzähligen Lehrerzimmern sind. Doch Kindheit und Schule spielten sich nicht bloss im und ums Schulhaus ab, der Pausenplatz war keine abgeschottete Welt. «Im Sommer», so erzählte Ursula, «hatten wir oben auf dem Berg Sportnachmittage. Danach rannten wir den Holbrig runter, bei Zweifel direkt in die Scheune, einige Wanderlieder singend, und immer kam da jemand und sagte uns, aus welchem Fass wir uns mit Obstsaft bedienen durften, soviel wir wollten!» Und wie aus dem Nichts, als hätte es nun lange genug auf eine Gelegenheit gewartet, schwenkte das Gespräch plötzlich über zu dem einen grossen Thema jener Zeit: dem Zweiten Weltkrieg.

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